Kontrolle über eigene Daten zurückgewinnen

Erstellt von Pascal Wiederkehr |
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Was es für Geld schon lange gibt, will ETH-Professor Ernst Hafen für persönliche Daten schaffen: eine Bank mit Genossenschaftsmodell als Gegenpol zu den etablierten Internetgiganten.

Noch vor 20 Jahren hätte kaum jemand einem Unternehmen freiwillig mitgeteilt, wie häufig und welche Strecke er oder sie kürzlich gejoggt sei. Heute gibt es dafür Smartphone-Apps, Smartwatches oder Fitnesstracker. Und die persönlichen Fitness-, Gesundheits- oder Ernährungsdaten sind bei Unternehmen oder Krankenkassen heiss begehrt.

Doch Gesundheitsapps und andere haben alle etwas gemeinsam: Egal, wie strikt die Datenschutzerklärungen sind und welche Einstellungen jeder individuell vornehmen kann, die Daten liegen in den Händen von Unternehmen. Nutzerinnen und Nutzer müssen ihnen entweder vertrauen oder auf die Nutzung solcher Angebote komplett verzichten. Letzteres würden wohl viele Privatsphäre-Experten empfehlen.

Forschung soll profitieren
Einen anderen Weg geht Ernst Hafen. Der Professor am ETH-Institut für molekulare Systembiologie will, dass die Bevölkerung die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten behält. Denn für ihn ist klar: Daten entfalten ihr wahres Potenzial erst, wenn sie zusammengeführt werden. Weder Google, Apple, Facebook noch eine Ärztin verfügt über alle Daten, also das Gesamtbild einer Person. Alle haben nur ein Stück vom Kuchen.

«Nur die Bürgerinnen und Bürger selbst können alle Daten zusammenbringen», sagt Hafen. «Aber nicht Internetkonzerne sollen von dieser Zusammenführung profitieren, sondern die Gemeinschaft», so der Biologe. Für Unternehmen sind Daten wie bares Geld. Sie werden gesammelt, ausgewertet, verkauft und für personalisierte Werbung verwendet.

Wer heute eine Studie mit 3000 Teilnehmenden braucht, der muss viel Zeit und Geld investieren. Sind die Daten schon vorhanden, wird laut Hafen beispielsweise die Entwicklung von Medikamenten günstiger, oder es werden Forschungen ermöglicht, die sonst finanziell unattraktiv sind. Der 64-Jährige hat deshalb 2015 mit Gleichgesinnten die Non-Profit-Genossenschaft Midata gegründet. Midata funktioniert wie eine Bank für Daten. Erdacht hat die Technik dahinter Hafens damaliger ETH-Kollege Donald Kossmann, der heute in den USA die Forschungsabteilung von Microsoft leitet. Entwickelt wurde sie zusammen mit der Berner Fachhochschule.

Auf der Internetplattform von Midata kann man seine Daten hochladen. Die Genossenschaft übernimmt die Verwaltung und sucht Partner, welche die Daten nutzen möchten. Firmen sollen für die Nutzung bezahlen. Die Entscheidung, ob Daten genutzt werden dürfen, liegt immer bei den einzelnen Mitgliedern. Sie bleiben Besitzer ihrer Daten. Die Einnahmen werden für die Weiterentwicklung der Midata-Plattform und für Projekte genutzt, beispielsweise in der Forschung, die der Gemeinschaft etwas bringen sollen.

App für Corona-Symptome lanciert
Um die Leute zum Mitmachen zu motivieren, hat Midata verschiedene Projekte lanciert. Eines ist topaktuell und heisst «Corona Science». Bürgerinnen und Bürgern können mit der App ihren Gesundheitszustand und auftretende Symptome einer Covid-19-Erkrankung aufzeichnen. Die gewonnenen Daten werden anonym und allen Interessierten zur Verfügung gestellt. Ein anderes Projekt ist an Pollenallergikerinnen und -allergiker gerichtet. Die Daten werden vom Universitätsspital Zürich verwendet. Mit der Teilnahme an einem der Projekte eröffnen die Nutzenden ein Konto bei Midata. Sie sind damit nicht automatisch Mitglied der Genossenschaft. Ein Genossenschaftsschein kostet 40 Franken. Geld verdienen können Mitglieder nicht: «Wir wollen keine finanziellen Anreize zum Teilen von Daten», sagt Hafen. Wer Geld für seine Daten erhalte, habe einen Anreiz, diese so zu manipulieren, dass sie möglichst wertvoll würden. Das wolle man verhindern.

Schweiz muss Gesetz anpassen
Midata hat aber ein Problem: die Nutzerfreundlichkeit. Bei den Apps muss man seine Symptome selbstständig eingeben, das braucht Disziplin. Wer alle seine Daten in der Datenbank zusammenführen will, muss dies von Hand tun. «Ideal wäre deshalb, wenn es in jeder Software eine Einstellungsmöglichkeit gäbe, die die gesammelten Daten automatisch in die Datenbank legt», sagt Hafen.

Eine Voraussetzung: Alle, die personenbezogene Daten sammeln, egal ob Supermarkt, Internetkonzern oder Spital, sollen diese auf einfache Art und Weise zur Verfügung stellen. «Ich will Google nichts wegnehmen, aber ich will eine Kopie meiner Daten herunterladen können», erklärt Hafen. Dafür braucht es aber eine gesetzliche Grundlage, das Recht auf Kopie, wie es die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union vorsieht. Die Schweiz ist noch nicht so weit. Die Revision des veralteten Datenschutzgesetzes steckt im Parlament fest.

Midata muss Vertrauen aufbauen
Eine grosse Frage ist die Sicherheit: Gerade für Betrüger ist eine zentrale gespeicherte Datensammlung interessant. Privatsphäre-Aktivisten raten generell dazu, dafür zu sorgen, dass möglichst keine persönlichen Daten ins Internet gelangen. Das würde aber dem Prinzip der Midata-Genossenschaft widersprechen. «Wichtig sind das Vertrauen und die Reputation der Datenbank», sagt Hafen. Midata investiere in die Sicherheit. «Und wir lassen unser System von Profis prüfen», fügt Hafen an. Auch er habe seine Gesundheitsdaten auf Midata gespeichert. Für ihn sei es dasselbe, wie wenn man sein Geld unter der Matratze verstecke, anstatt es auf die Bank zu bringen. Denkbar wäre, dass in Zukunft etablierte Finanzinstitute wie die UBS oder die Zürcher Kantonalbank ähnliche Dienstleistungen anbieten. Dann könnte man seine Daten über den E-Banking-Zugang verwalten.

«Wir müssen die Leute stärker vom Nutzen überzeugen», sagt Hafen. Die Genossenschaft Midata hat rund 200 Mitglieder. Die Apps wurden über 10 000-mal heruntergeladen. Um aufzuzeigen, wie Midata-Daten für Firmen und Forschung interessant sind, will sich Hafen auf entsprechende Projekte konzentrieren. Darum ist er im Mai als Genossenschaftspräsident zurückgetreten. Wer sein Amt übernimmt, ist offen.

Informationen: www.midata.coop