Die grosse Ausstellung «Take Care: Kunst und Medizin» im Kunsthaus Zürich widmet sich der Geschichte der Medizin vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Dabei wird die Redewendung «Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper» differenziert betrachtet.
Kunst und Medizin scheinen zwei verschiedenen Daseinsformen anzugehören. Das Kunstwerk ist einmalig, unwiederholbar, vielfältig und persönlich. Ga nz anders die Medizin. Ihre Werte müssen wäg- und messbar, vergleichbar und reproduzierbar sein. Trotzdem ist die Medizin eine Kunst, die mit anderen Künsten verbunden ist. Das Zusammenspiel von Kunst und Medizin finden wir in den Moulagen. Die Ausstellung «Take Care» zeigt unter anderen die Moulage «Lupus erythematodes» von Lotte Luise Volger (1883–1956). Volger baut nach dem Ersten Weltkrieg an der Zürcher Universitätsklinik eine dermatologische Moulagensammlung auf.
Meilensteine der Medizin
Die Ausstellung macht Besuchern und Besucherinnen die komplizierten Systeme «Körper und Geist», «Krankheit und Genesung», «Glaube und Wissenschaft» begreifbar. Im christlichen Abendland ist es lange Zeit untersagt, den menschlichen Körper zu sezieren, Hand an die göttliche Schöpfung zu legen. Mit der medizinischen Erkenntnis, man könne den Menschen nur verstehen, wenn man auch seinen Körper kennt, macht die Renaissance (15./16. Jh.) dem Spuk langsam ein Ende. Als Erste sind es Leonardo da Vinci (1452–1515) und Andreas Vesalius (1514–1564), die das Innere des menschlichen Körpers sichtbar machen. Trotz päpstlicher Verfügung, dass auf Sezieren von Leichen die Todesstrafe steht, holt sich Da Vinci auf dem Friedhof Leichenteile, um sie bei Kerzenlicht zu erforschen. Zu Vesalius Zeiten finden öffentliche Sektionen in oder neben der Kirche statt. Später bauen Universitäten dafür anatomische Theater.
Bilderbogen mit sechs Kapiteln
Das «Goldene Zeithalter der Medizin» (1840–1914) beginnt mit der Entdeckung der Antisepsis, der Entwicklung der Anästhesie und der Röntgenstrahlung. Sie ermöglichen Heilungserfolge, an die bisher nicht zu denken war. Mit Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, Videos und Rauminstallationen präsentiert eine Starbesetzung in sechs Kapiteln Schlüsselmomente der Medizingeschichte. Die Kunstwerke drehen sich hauptsächlich um körperliche Gebrechen.
Bekannte Meister wie Joseph Beuys, Honoré Daumier, Albrecht Dürer, Max Ernst, Ferdinand Hodler, Paul Klee, Meret Oppenheim, Pipilotti Rist, Varlin und andere, treffen auf junge Künstlerinnen und Künstler. Darunter Rosemarie Trockel, Matt Mullican, Uriel Orlow. Die Schweizer Künstlerin Manon macht im «Selbstporträt in Gold» ihren Körper zur beklemmenden Skulptur. 1999 verewigt sie aus verschiedenen Metallen und Holz «Sarah Bernhardt’s Leg». Der legendären Schauspielerin muss nach einem schweren Unfall 1915 ein Bein amputiert werden. Der Maler und Bildhauer Martin Kippenberger klekst mit hellen, grellen Farben seinen «Junger progressiver Arzt bei der Betrachtung von Unrat» auf die Leinwand, und meisterhafte «Chirurgische Nähte» lassen Kunststickerinnen erblassen.
Ob der «Zimmerfahrrad-Apparat» (1901), der täuschend echte «Medical Doctor» (1992–1994) aus Bronze vom Bildhauer Duane, Hanson, der Keuschheitsgürtel (1882) oder diverse Werke «Ohne Titel», die Fülle und Qualität der Objekte ist beeindruckend. Vertieft werden kann das Geschaute mit Audioguides, knappen, präzisen Texten und an Hörstationen. Wer sich die zahlreichen Exponate gründlich anschauen will, muss Zeit mitbringen und gut zu Fuss sein.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Erhältlich für Fr. 45.– im Museumsshop. Dauer der Ausstellung bis 17. Juli, Moserbau, Heimplatz 1, Öffnungszeiten: Di/Fr–So, 10–18 Uhr, Mi/Do, 10–20 Uhr, Montag geschlossen Eintritt: Fr. 23.–/18.– reduziert, Jugendliche bis 16 Jahre Eintritt frei, Informationen zur Ausstellung: www.kunsthaus.ch