Wissen Sie, was ein «Cul de Paris» ist? In der neuen Sonderausstellung «drüber und drunter – wie Mode Körper formt» im Ortsmuseum Küsnacht kann man es erfahren und sogar am eigenen Leib ausprobieren.
Für die neue Sonderausstellung konnten Kuratorin Elisabeth Abgottspon und ihr Team aus dem Vollen schöpfen: Aus einem eigenen Depot mit über 1000 Kleidungsstücken aus vergangenen Zeiten. Es gebe nicht viele Museen in der Schweiz, die eine so breite Modesammlung ihr Eigen nennen könnten, sagte Abgottspon an der Vernissage. In der Ausstellung kommen 23 Damenkleider und allerhand «Underware» zum Zug. Sie verschaffen einen Überblick über die Damenmode der letzten rund 150 Jahre und zeigen, wie sich die modische Silhouette im Verlaufe der Jahrzehnte immer wieder gewandelt hat.
Stramme Brust, draller Hintern
Was sofort auffällt: Männermode kommt in dieser Ausstellung kaum vor. Einsam und etwas verschämt im Kreis der bunten, romantisch-wallenden, rüschig gebauschten, keck-kurzen oder pfiffig-strengen Damenträume steht ein klassischer Smoking aus den 1930ern. Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts habe den Herren eben eine gleichförmigere, langweiligere und nüchterne Mode verpasst, die in der Folge auch weniger gesammelt wurde, erklärte Abgottspon die «Damenlastigkeit». Als männliches Kleidungsattribut prangt neben dem Smoking auch eine kartonierte Hemdbrust am Bügel – ein steifer Brustlatz, der von 1900 bis 1940 die gebührende stramme Haltung unterstützte.
Die sehr sorgfältig und kreativ inszenierte Ausstellung schlägt die Brücke vom Damals zum Heute. Sie zeigt auf, wie sich die Mode – die ideale Silhouette – immer wieder den sich verändernden gesellschaftlichen Normen anpasste. Highlights aus vergangenen Zeitgeist-Epochen sind etwa das Tournürenkleid aus schwerem Seidenbrokat (um 1880), das niedliche, einfach fallende, aber reich bestickte Empirekleid (um 1900) und ein Kleid aus der sogenannten S-Linie (um 1900). Die S-Silhouette ist eine Art Erweiterung des «Cul de Paris» (also des künstlich aufgepolsterten Damenhinterns) zum drallen Doppelschwung. Zu diesem Silhouettenideal mit imposant gewölbtem Busen und Po gehörte ein flacher Bauch und ein hohles Kreuz. Zur Unterstreichung der «Gänsebrust» wurde unter der Robe ein Rüschenhemd getragen.
In einer Ecke, vor der Wand mit Modezeichnungen des 2016 in Zumikon verstorbenen Malers Jean-Louis Bertrand aus den 50ern und 60ern, können neugierige Besucherinnen übrigens in ein bereitliegendes historisches Kleid schlüpfen und so am eigenen Leib erfahren, wie sich ein «Pariser Hintern» anfühlte. Der Demo- Schummelhintern, ein mit Watte gefüllter Stoffbeutel zum Umbinden, wurde extra für die Ausstellung genäht – nach einem Burda-Schnittmuster von anno 1890. Solche historischen Schnittmuster seien immer noch in gut bestückten Nähbedarfsläden zu bekommen, war an der Ausstellung zu erfahren.
Moden, die wiederkehren
In verschiedenen Epochen Mode waren die «Petticoats»: zum Teil in den Rock eingenähte, bauschig-weite, mehrlagige Unterröcke, die frau unter taillenbetonten Röcken trug. Den meisten von uns bekannt sind Pettitcoats wohl aus der Rockabilly-Szene der 40er- und 50er-Jahre. Ein weiteres Beispiel wiederkehrender Modetrends sind die Schulterpolster. Vor allem in Tailleurs eingenäht, verliehen sie schon in den 30ern, 40ern und 80- ern dem Frauenkörper eine maskulinere Erscheinung. Heute sind sie offenbar wieder im Kommen.
Schummeleien im Schummerlicht
Als hübsche und stimmige Idee der Kuratorin und ihres Kreativteams erscheint es, die formgebenden «drunter »-Tricks unter schummrig beleuchteten Baldachinen aus Tüll auszustellen. Man muss richtig «inegüggsle», um die diskreten Geheimnisse der Frauenmodewelt zu entdecken. Das berühmt-berüchtigte Schnürkorsett darf in dieser «Bodyshaping»-Sammlung natürlich nicht fehlen.
In der szenografisch und handwerklich überzeugend inszenierten Ausstellung gibt es zudem eine Audio- Station: Expertinnen aus verschiedenen Arbeitsbereichen – von der Psychoanalyse über Modedesign und Fitness bis zur Politik – erzählen Wissenswertes zum Thema Mode. Zu hören ist dabei auch die ehemalige Küsnachter Gemeindepräsidentin und Regierungsrätin Ursula Gut. Sie macht sich Gedanken über die Kleidung von Politikerinnen und Politikern, die ja immer wieder in der Öffentlichkeit zu reden gibt.
Guts Nachfolger im Küsnachter Amt, Gemeindepräsident Markus Ernst, war an der Vernissage nicht nur per Stimme, sondern in voller Statur anwesend. Er outete sich jedoch in seiner Begrüssungsrede als «Junggeselle, der nicht unbedingt mit modischem Stilbewusstsein auftrumpfen» könne. Einen ausserordentlich unterhaltsamen, kreativen Beitrag zur Ausstellungseröffnung leisteten im Übrigen der Musiker, Tänzer und Rhythmuspädagoge Thomas Viehweger und der Rapper und Beatboxer Alessandro Zuffellato mit ihrer «Bodymusic».. Die beiden Künstler zeigten in ihren humorvollen, gesanglich, lautmalerisch und rhythmisch äusserst virtuosen Intermezzi, dass sich der menschliche Körper nicht nur modisch formen, sondern auch prima musikalisch bespielen lässt. (mai.)