Mysteriöse Mordfälle sind sein Metier

Erstellt von Dominique Rais |
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Der Kriminalbiologe Mark Benecke (51) gilt als moderner Sherlock Holmes. Seine Expertise als Forensiker ist weltweit gefragt. Im Interview mit Lokalinfo hat der Spuren-Experte über ungelöste Verbrechen, den Geruch zerstückelter Leichen und seine Arbeit als Kriminalist in der Schweiz gesprochen.

Herr Mark Benecke, Sie sind der berühmteste Kriminalbiologe der Welt. Sie haben schon an die 2000 Kriminalfälle bearbeitet, Aberhunderte Leichen untersucht und lösen ungeklärte Mordfälle anhand kriminaltechnischer Tatortspuren. Und das seit 30 Jahren. Gibt es da überhaupt noch Kriminalfälle, die Sie überraschen?

Ich bin immer neugierig und finde alle Fälle auf die eine oder andere Weise überraschend. Wenn ich nicht jeden Fall mit der gleichen kindlichen Neugier betrachten würde, wäre ich im falschen Beruf.

Wie sind Sie denn zu Ihrem heutigen Beruf als Kriminalbiologe gekommen?

Angefangen hat alles, als ich 22 Jahre alt war. Damals habe ich ein Praktikum in der Rechtsmedizin gemacht. Haupt­sächlich deswegen, weil sie dort schon damals mit genetischen Fingerabdrücken, also DNA-Profilen, gearbeitet haben. Danach habe ich dann in Köln Biologie, Zoologie und Psychologie studiert und später am Institut für Rechtsmedizin über genetische Fingerabdrücke promoviert.

Ausserdem haben Sie sich an der FBI-Akademie in den USA ausbilden lassen und waren Ende der 1990er als Kriminalbiologe für das Office of Chief Medical Examiner in Manhattan, die Rechtsmedizin der Stadt New York, tätig. Was zeichnet ihre Arbeit als Forensiker aus?

Ich untersuche meist ungewöhnlich wirkende Todesfälle. Dazu schaue ich mir die Leiche an und untersuche deren Spuren. Also Blut, Sperma, Urin, Kot, Mageninhalt und Insekten. Das geht oft auch ohne Leiche. So oder so, man muss eine Vorliebe für Besonderheiten haben, wobei mögen allein nicht reicht, man muss eine echte Vorliebe dafür haben. Jede scheinbar langweilige Einzelheit kann wichtig sein.

Ihr Spezialgebiet ist die forensische Entomologie. Sie sind deswegen auch als «Herr der Maden» bekannt. Wie genau helfen Ihnen Insekten dabei, einen Mordfall zu lösen?

Fliegen oder Maden geben Aufschluss darüber, ob eine Leiche etwa längere Zeit in einem Haus lag und eben nicht an dem Ort, wo sie dann letztlich gefunden wurde. Zudem lässt sich auf diese Weise beispielsweise auch feststellen, wann der Teppich, in den eine Leiche eingewickelt war, zusammengerollt wurde.

Wie würden Sie den Geruch des Todes beschreiben?

Auf keinen Fall süsslich. Nie. Wenn, dann nach Lindenblüten. Bei frischen, zerstückelten Leichen riecht es wie beim Metzger. Mumifiziertes Gewebe hat einen muffigen Geruch, wobei aktive faulende Leichen eine stechende oder würgende Note haben. Zudem gibt es noch Noten von altem Käse oder Kot, etwa wenn die Leiche in einer Tonne lag.

Sie werden als Sachverständiger hinzu­gezogen, wenn es um mysteriöse Todesfälle oder mutmassliche Gewalt­verbrechen geht. Gibt es den einen Fall, der Sie bis heute nicht mehr loslässt?

Nein. Aber es gibt immer wieder Fälle, bei denen jemand unschuldig verurteilt wurde, obwohl klar ist, wer die Täterin oder der Täter ist. All diese Fälle scheitern daran, dass Spuren nicht ordentlich gesichert oder untersucht wurden. Das ärgert mich, zumal es ein Problem ist, das lösbar ist. Und ich mag es nicht, wenn ein lös­bares Problem nicht gelöst wird.

Sie sehen sich immer wieder mit komplexen Kriminalfällen konfrontiert, gelten längst als moderner Sherlock Holmes. Stimmen Sie dem zu?

Es passt zumindest ganz gut. Zumal ich gerade erst beim Blauen Karfunkel-­Dinner das Ehrenabzeichen für meine ­langjährige Mitgliedschaft in der Sherlock-­Holmes-Gesellschaft verliehen bekommen habe. Das ist eine der wenigen Auszeichnungen, die mir wirklich etwas wert ist. Ich mag Nerds, Menschen, die sich etwas zu stark in Dinge vertiefen. Das hat Sherlock Holmes ja auch gerne ­gemacht. Meine Mitarbeiterin hingegen ist wohl eher Dr. Watson. Sie bleibt lieber im Labor und zieht nicht so gerne in die abenteuerliche Welt raus. Nur einmal hat sie mich begleitet. Damals haben wir auf Sizilien nachts Mumien in den Katakomben von Palermo untersucht.

Zusammen mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB haben Sie auch schon Adolf Hitlers mutmasslichen Schädel unter die Lupe genommen und den Fall des kolumbianischen Kinderschänders und Serienmörders Luis Alfredo Garavito Cubillos untersucht. Arbeiten Sie auch mit den Schweizer Behörden zusammen?

Schon, aber die Schweiz gehört wie Spanien zu den Ländern, die wollen immer alles alleine machen. Das ist auch überhaupt nicht schlimm. Denn zumindest die Schweiz hat gute Labore mit gut ausgebildeten Fachleuten. Ich spreche dann gerne bei Fortbildungen, wie vor einiger Zeit bei der Staatsanwaltschaft Baselland. Die Fälle bearbeiten die Behörden dann meist alleine.

Am 3. Dezember gastieren Sie mit Ihrem Lichtbildvortrag «Bakterien, Gerüche und Leichen» im Zürcher Volkshaus. Was erwartet die Besucher an diesem Abend?

Viele Bakterien und Leichen. Auf Fotos. Die Besucherinnen und Besucher sollen am Schluss wissen, warum welche Bakterien auf Leichen oder in Leichen zu finden sind und wie wir das auf Kriminalfälle anwenden. Denn Bakterien blähen Leichen nicht nur auf, sie sind auch interessante Spurenträger, die auf der Suche nach Serienmördern eingesetzt werden.

Was fällt Ihnen zu diesen Begriffen ein?

Fliegenlarven sind ...

... die Kinder von Schmeissfliegen oder ­anderen Fliegen. Sie sind Informationsträger aus dem Kreislauf des Lebens, die uns etwas über den Ort und die Zeit eines Geschehens verraten können.

Leichengeruch ist ...

... interessant, weil man daraus ableiten kann, welche Bakterien sich in oder an der Leiche befinden.

Das Skalpell ...

... ist meistens unnötig, weil die Leiche oft schon verfault ist.

Der Tod ist ...

... uninteressant. Er hat keine Bedeutung.

Der Tatort ist ...

... voller Spuren, auch wenn es manchmal nicht danach aussieht.

True-Crime-Serien erfreuen sich nach wie vor grosser Beliebtheit. Sie selbst sind in Kriminalserien wie «Medical Detectivs» und «Autopsie – Mysteriöse Todesfälle» als Experte zu sehen, wo Sie wissenschaftliche Methoden anhand echter Kriminal­fälle erklären. Was haben Sie als Kriminalbiologe immer mit dabei?

Die Taschenlampe ist das Wichtigste. Ausserdem habe ich auch immer Tatort­kärtchen – das sind kleine Massstäbe mit Millimeter, Inch und Farbeichung – dabei. Und natürlich meine Kamera.

Wie viel «CSI» steckt tatsächlich in Ihrem Job als wissenschaftlicher Forensiker?

Film-Ermittlerinnen und -Ermittler können immer alles: Spuren sichern, schiessen und noch Helikopter fliegen. Das ist Quatsch. Als Spurenkundler beschäftige ich mich nur mit der kriminal­biologischen Seite. Der Rest geht mich nichts an. Und im Helikopter wird mir ausserdem schlecht.

Wären Sie nicht Kriminalbiologe, welchen Beruf würden Sie heute stattdessen ausüben?

Koch. Man hat eine begrenzte Menge an Zutaten und kann unbegrenzt viel daraus machen. Das ist das Gleiche wie im Labor.

Welchen Fehler begehen Mörder am häufigsten und werden deswegen gefasst?

Der häufigste Fehler ist, dass sie die Tat überhaupt erst begehen. Es gibt keinen Grund für so eine Tat, zumal es heute gute vorbeugende Hilfsangebote gibt.

Dann wäre Ihr Job als Kriminalbiologe ja irgendwann überflüssig ...

Genau daraufhin arbeite ich hin. Ich kann auch für den Rest meines Lebens lebende ­Insekten in der Natur beobachten. Das hat Sherlock Holmes übrigens auch getan. Er hat am Ende seines Lebens Bienen gezüchtet.

 

Verlosung

Die Lokalinfo verlost 1 × 2 Tickets für «Bakterien, Gerüche und Leichen», den fast ausverkauften Lichtbild­vortrag des Kriminalbiologen Mark Benecke, der am 3. Dezember, 19.30 Uhr, im Volkshaus in Zürich stattfindet. Der Zutritt erfolgt mit Covid-Zertifikat. Es gilt die 2G-Regelung.Wer gewinnen möchte, sendet bis spätestens 30. November ein E-Mail mit der Betreffzeile «Kriminalbiologe» und vollständiger Postadresse an lokalinfo@lokalinfo.ch. Keine Korrespondenz über die Verlosung. Rechtsweg ausgeschlossen. Die Gewinner der Verlosung werden dem Ausschreiber bekannt gegeben.