Ob Ländler, Rock oder Blues: «Hauptsache, es groovt»

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Claudia Rüegg und Klaus Hersche bringen mit ihrem Projekt «Galotti» ein ganz neues Musikvermittlungskonzept nach Zürich: An der Lessingstrasse entsteht ein Ort für alle, die gerne gemeinschaftlich Musik machen möchten.

Die Konzertpianistin Claudia Rüegg und der Kulturveranstalter Klaus Hersche stammen beide aus der Ostschweiz. Kennen gelernt haben sie sich als Verantwortliche bei der Thurgauer Kulturstiftung. Nun mischen sie zusammen die Zürcher Musikszene neu auf. Und das kommt so: Während eines Sabbaticals besuchte Rüegg – als Gitarrenschülerin – die «Old Town School of Folk Music» in Chicago und war begeistert vom Unterrichtskonzept an dieser Schule. Musikvermittlung setzt dort nämlich voll auf das gemeinschaftliche Musizieren von Profis und Laien aus allen sozialen Schichten – in Workshops, bei Jams und Konzerten. Die Musikerin empfand diese Art des Musizierens als befreiend. «Im traditionellen Instrumentalunterricht ist man zu oft einfach am Üben. In der Gruppe spielt man zusammen, macht wirklich Musik – und lernt dabei miteinander und voneinander.»

Nach ihrer Rückkehr stand deshalb für Rüegg fest: Sie wollte in Zürich ein ähnliches Projekt auf die Beine stellen. Dass der Bedarf hierfür vorhanden ist, ergaben Umfragen in verschiedenen Zürcher Musikszenen. Zahlreiche bekannte Profimusikerinnen und Musikpädagogen sicherten ihre persönliche Unterstützung zu. Nachdem auch die passenden Räumlichkeiten an der Lessingstrasse gefunden waren, wurde im Mai 2018 schliesslich «Galotti» aus der Taufe gehoben – von einem Förderverein getragen und über Stiftungen, die Stadt Zürich und private Sponsoren finanziert. Man wolle aber nicht ewig am Subventionstropf hängen, betont Hersche. Das Projekt solle dank Mitglieder- und Teilnehmerbeiträgen selbsttragend werden.

Noch nie da gewesen
«Galotti» ist ein schweizweit einmaliges Projekt: ein Zentrum und Experimentierraum für Freunde der Musik, ob Amateure oder Profis, ob jünger oder älter. Sie alle können hier Musik machen, lernen, hören, sich austauschen und vernetzen, sei es in Kursen, Workshops, Bands oder im Chor, an Konzerten oder an der Bar. Zu dem Projekt gehören neben dem Standort Lessingstrasse verschiedene Satelliten in den Quartieren: «Galotti on the Road» (s. Box), bereits seit über einem halben Jahr erfolgreich unterwegs. Die Eröffnung des eigenen Standorts lässt jedoch noch bis im Sommer auf sich warten. Zurzeit sind in dem schönen alten Backsteinbau an der Lessingstrasse 15, in dem sich «Galotti» auf gut 300 Quadratmetern eingemietet hat, noch Sanierungs- und Umbauarbeiten im Gange. Das mobile Angebot wird auch nach der Eröffnung des Stammhauses vorerst weiter bestehen. Hersche: «‹Galotti› braucht ein Haus als Herz, wir müssen aber auch in die Quartiere hinaus gehen, um die Leute abzuholen.»

Mit «Galotti» wolle man nicht gegen andere Musikvermittlungskonzepte antreten, sondern diese einfach ergänzen, betonen die beiden Initianten. So soll das niederschwellige Angebot vor allem auch jene Hobbymusikerinnen und -musiker ansprechen, die der Idee, zusammen mit anderen Musik zu machen, vielleicht nicht abgeneigt wären, die jedoch nicht die Zeit oder den Mut finden, selbst eine Band zu organisieren.

Vom finnischen Tango zum Jodel
Bei «Galotti» können aber auch Anfänger mitmachen. Man müsse nicht einmal zwingend Noten lesen können, betont Rüegg. Denn es gehe hier vor allem drum, von den andern «über die Ohren» zu lernen. Wie dies übrigens seit je auch in der Volksmusik geschehe, fügt Hersche an: «Die meisten Volksmusiker lernen von den Eltern oder andern Familienmitgliedern – also in der Praxis und nicht am Konsi.» Die Volksmusik sei also – von der Haltung her – eine Art Vorbild für das eigene Projekt.

Stilistisch ist «Galotti» offen, wobei der Fokus auf eher leicht zugänglicher Musik liegt: etwa Folk, Pop, Rock, Rootsmusik, Blues. In den von Profimusikerinnen und -musikern aus vielen verschiedenen Nationen und Kulturen geleiteten Workshops und Jams will man sich aber nicht allzu sehr festlegen auf einen Stil. Dieser muss sich jeweils auch in der Gruppe entwickeln können. Andererseits wird es Bands geben, die einem bestimmten Stil verpflichtet sind, etwa der afrikanischen Musik oder dem finnischen Tango. Wer will, kann sich in Gruppenkursen auch bestimmte Spiel- oder Gesangstechniken aneignen, wie etwa das «Fingerpicking» oder das Jodeln.

«Tonnenweise Glückshormone»
Allein Musik zu machen, sei schön, aber nicht zu vergleichen mit dem Zusammenspiel in der Gruppe, sagt Hersche. «Die Gruppe hat immer auch eine soziale Komponente. Man lernt zuzuhören, sich mit anderen zu synchronisieren.» Musikmachen werde damit zu etwas Verbindendem, schaffe ein Zusammengehörigkeitsgefühl über sprachliche, soziale, kulturelle Barrieren und unterschiedlichste Weltanschauungen hinweg. Es spiele auch keine Rolle, in welchen Traditionen und Stilen die Musik jeweils verortet sei: «Hauptsache, es groovt», lacht Rüegg. Und Hersche, selbst Freizeitmusiker, fügt an: «Wenn eine Gruppe von Menschen im gleichen Puls agiert, stösst das Hirn tonnenweise Glückshormone aus.» (Lisa Maire)