Die Schweiz und auch die Region Zürich erlebten soeben einen der fünf wärmsten Oktober seit Messbeginn im Jahr 1864. Am Zürichberg war der Oktober 2019 über 12 Grad mild im Durchschnitt. Zum Allzeitrekord aus dem Jahr 2001 fehlte lediglich ein Grad.
Ähnlich warm war es zudem vor fünf Jahren im Oktober 2014. Etwas wärmer waren die Oktobermonate in den Jahren 1995 und 2006. Der ausgesprochen milde Oktober 2019 macht auch ein Phänomen möglich, das in der über 150-jährigen Klimatologie von Zürich erst sechsmal vorkam: So war der diesjährige Oktober milder als der vorausgegangene Mai. Erwartungsgemäss bringt der Mai jeweils 3 bis 4 Grad höhere Durchschnittstemperaturen, verglichen mit dem Oktober. Im Jahr 2019 hingegen war der Mai mit gemittelt 10,6 Grad deutlich zu kühl und mehr als ein Grad kühler als der Oktober.
Die Konstellation sehr kühler Maimonate und sehr milder Oktober trat letztmals im Jahr 2013 und vorher in den Jahren 1984 und 1987 auf. Allgemein unterscheidet sich der saisonale Temperaturverlauf 2019 deutlich vom Vorjahr. Der Frühling vor
einem Jahr war ausgesprochen warm. Damals erreichte bereits der April
eine höhere Durchschnittstemperatur, als dann der Oktober 2018 erreichen sollte. In diesem Jahr war es umgekehrt. Das Temperaturniveau im April war zwar überdurchschnittlich, aber verglichen mit dem Vorjahr war der Wärmeüberschuss überschaubar, sodass nun im Jahr 2019 der Oktober milder ausfällt als der April. Das ist kein Einzelfall. Die Monate April und Oktober duellieren sich temperaturmässig seit eh und je, daran hat bis jetzt auch der Klimawandel nichts geändert.
April und Oktober im Duell
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also zu Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen in der Stadt Zürich, war der April regelmässig milder als der Oktober. Der Oktober gewann allerdings Oberhand, als sich der April in der Folge bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts um rund ein Grad abkühlte, der Oktober aber im Gegenzug um etwa ein halbes Grad milder wurde. Entsprechend waren in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts häufig die Oktober milder als die Aprile. Erst mit der starken Frühlingserwärmung in den 40er- und 50er-Jahren schloss der April wieder zum Oktober auf, sodass in dieser Periode auch immer mal wieder der April wärmer ausfiel. Dieser Zustand hielt aber nicht lange. Bereits in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts kühlten sich die Frühlingsmonate wieder aufs «alte» Niveau ab, während sich der Oktober weiter leicht erwärmte. In dieser Zeit waren die Kräfteverhältnisse klar verteilt. Praktisch in jedem Jahr brachte der Oktober höhere Temperaturen als der vorangegangene April.
Seit den 90er-Jahren hat der April aber wieder zu einer fulminanten Aufholjagd angesetzt. Allein in den letzten 30 Jahren hat sich der April in Zürich um fast 3 Grad erwärmt. So waren in jüngster Vergangenheit Jahre mit einem milderen April als Oktober wieder häufiger. Eine Ausnahme macht aber wie eingangs erwähnt das aktuelle Jahr 2019. Seit Messbeginn im Jahr 1864 haben sich beide Monate um rund 2 Grad erwärmt. Während die Erwärmung beim Oktober gleichmässig verlief, waren es beim April nach Phasen der Abkühlung zwei markante Erwärmungsschübe, die den Unterschied machten.
Atlantik als Regulator
Den einen oder anderen mag die Tatsache erstaunen, dass im Allgemeinen April und Oktober gleich mild ausfallen, scheint doch im April die Sonne schon viel intensiver vom Himmel. In der Tat entspricht der Sonnenstand im Oktober eher jenem vom März. April und Mai erhalten also eine deutlich intensivere Sonne. Allerdings wird das Klima in Mitteleuropa stark vom Nordatlantik beeinflusst, der als riesiger Temperaturregulator fungiert. Zu Herbstbeginn ist der Atlantik am wärmsten. Mit Westwinden gelangt so warme Meeresluft in die Schweiz, unabhängig davon, wie intensiv die Sonne scheint. Im Frühling hingegen ist der Nordatlantik vom zu Ende gehenden Winter noch kalt. Die immer stärker werdende Sonne muss die riesigen Wassermassen zuerst erwärmen. Die vorherrschenden Westwinde bringen trotz intensiver Aprilsonne entsprechend immer wieder kalte Atlantikluft in die Schweiz. Im diesjährigen Oktober waren es häufig nicht nur Westwinde, die milde Atlantikluft herbeiführten, sondern sogar Südwest- oder Südwinde, welche noch wärmere Luft aus dem Mittelmeerraum brachten. Zusammen mit dem in solchen Konstellationen auftretenden Föhn erreichten die Temperaturen oft sommerliche Werte, und das mitten im Oktober. Silvan Rosser
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