Sachpolitiker gegen Visionär: Zwei, die nicht unterschiedlicher sein könnten

Erstellt von Manuela Moser |
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Gemeindepräsident von Küsnacht Markus Ernst (FDP) weist im Interview auf viele Erfolge während der letzten vier Jahre hin – Herausforderer Urs Esposito (parteilos) spricht vom fehlenden Vertrauen in den Gemeinderat und wünscht einen besseren Dialog.

«Grosszügiges Küsnacht» – dies kürzlich die Schlagzeile in der «NZZ» zur Aufnahme vieler Ukraineflüchtlinge in der Gemeinde. Auch Corona wurde gut gemeistert. Herr Ernst, Sie gehen also bestens gerüstet in die anstehenden Wahlen.

Markus Ernst: Dass die Stimmberech­tigten in dieser Amtsdauer bei allen elf ­Urnenvorlagen den Empfehlungen des Gemeinderats gefolgt sind und an der Gemeindeversammlung mit sehr wenigen Änderungen allen 22 Anträgen des Gemeinderates zugestimmt haben – das werte ich tatsächlich als grossen Vertrauensbeweis der Bevölkerung. Wir versuchen, unseren Job gut zu machen, können aber selbstverständlich immer noch besser werden. Die Publizität haben wir im Fall der Ukraine­flüchtenden nicht gesucht. Wir waren eher der Meinung, dass die vulnerable Gruppe Flüchtlinge eben nicht in die Schlagzeilen geraten sollte. Dann nahm die Berichterstattung eine eigene Dynamik an.

Herr Esposito, Sie kommen als Politfrischling in den Wahlkampf. Was können Sie dem entgegenhalten?

Urs Esposito: Ich möchte erst noch präzisieren: Die Flüchtlingen kamen nach Küsnacht aufgrund von zwei Einzelinitiativen. Die Gemeinde hat gut reagiert. Aber es ist das Verdienst von zwei Privaten.

Womit könne Sie aufwarten?

Esposito: Ich will das Thema Flüchtlinge nicht politisieren. Was mich aber Wunder nimmt: Ich habe zwei Verständnisfragen an Herrn Ernst. Es war ja knapp bei der Abstimmung zur Reduktion des Gemeinderats von 9 auf 7, was einer Streichung um etwa einen Viertel entspricht. Soll denn nun auch die Verwaltung um einen Viertel reduziert werden?

Ernst: Nein, die Verwaltung wird nicht reduziert, sondern deren Organisation wird teilweise angepasst. Das hat der Gemeinderat sowohl in seinen Medienmitteilungen als auch in den Abstimmungsunterlagen kommuniziert.

Esposito: Es gibt aber viel Unruhe, Büros müssen getauscht werden ...

Ernst: Es gibt weder viel Unruhe noch müssen Büros getauscht werden.

Lassen wir das so stehen und kommen ­zurück zum regulären Interview, das ich führe. Wie unterscheiden Sie sich voneinander? Herr Esposito, Sie haben einmal gesagt, Herr Ernst sei der erfahrene Politiker, Sie der Visionär.

Esposito: Ich bin keiner Partei zugehörig und vertrete kein Parteiprogramm. Das ist entscheidend. Ich vertrete Sinnfälligkeit, gesunden Menschenverstand und eine Kommunikation mit der Bauherrschaft – also der Bevölkerung.

Mit Ihnen wählt man alles in einem, Herr Esposito. Sie sind Reihenhausbesitzer und Unternehmer – also bürgerlich, haben ein grünes Umweltdenken und bei Ausländerfragen denken Sie links.

Esposito: Ich bin vor allem ehrlich und transparent.

Nochmals: Was macht Sie zum Visionär?

Esposito: Ich habe vor zwölf Jahren mit einem Wettbewerbsbeitrag für die Zentrumsplanung beim Bahnhof Küsnacht bewiesen, dass mich eine vorausschauende Infrastruktur- und Siedlungsentwicklung sowie eine vorausschauende Planung interessiert. Ich verteidige keine Privat- oder Partikularinteressen. Und ich finde, um das Klimaziel zu erreichen, müsste die Gemeinde viel mehr machen.

Herr Ernst, Sie sind kein Visionär?

Ernst: Ich bin Sachpolitiker mit dem Gespür für das Machbare. Grosse Visionen nützen nichts, wenn sie keine Mehrheiten finden, und unsere Demokratie ist stets ein Ringen um Kompromisse. Der Gemeinderat hat beispielsweise beim energiepolitischen Programm einen Workshop organisiert und gestützt auf diesen selbst eine Erhöhung des Kredits beantragt; an der Gemeindeversammlung kamen dann Anträge nach einer noch grösseren Erhöhung, die von der Mehrheit aber abgelehnt wurde.

Die Zentrumsplanung war seinerzeit ein grosser Misserfolg. Heute noch gibt es einfach Parkplätze beim Eingangstor zu Küsnacht. Hat die Gemeinde mit diesem Herzstück beim Bahnhof nichts vor?

Ernst: Fakt ist, dass die Mehrheit die oberirdischen Parkplätze behalten wollte. Das ist tatsächlich nicht wahnsinnig visionär, ist aber ein demokratischer Entscheid und als solcher zu respektieren. Herr Espositos Ideen waren dazumal visionärer, und der Gemeinderat lag mit seinen Vorschlägen irgendwo in der Mitte.

Herr Ernst, zurück zu Ihrem persönlichen Profil. Sie sind KMU-Chef und Brigadier im Militär. Geprägt von Hierarchien und reglementierten Abläufen, behaupte ich.

Ernst: Tatsächlich sagt man im Militär, es gibt Reglemente, in der Politik Gesetze. Es ist mir wichtig, dass man sich bei beiden Bereichen an die geltenden Vorschriften hält. Gesetzliche Rahmenbedingungen ­engen häufig ein, gleichwohl ist es wichtig, dass man sich dran hält. Gerade als öffentliche Hand haben wir hier auch eine starke Vorbildfunktion.

Ich sage es bewusst zugespitzt: Im Militär sind Sie es gewohnt, den Befehlston anzuschlagen und den Leuten zu sagen, wie es zu laufen hat. Färbt das auf Ihre Führung der Gemeinde ab?

Ernst: Da fehlt Ihnen die Erfahrung aus dem Militär. Heute wird ganz anders geführt, nämlich zielorientiert, das heisst mit Auftrags- und nicht mit Befehlstaktik. Das heisst, dass man Ziele und Absichten vorgibt, nicht aber den Weg, wie diese erreicht werden können.

Herr Esposito, wie erleben Sie als Bürger die Führung dieser Gemeinde?

Esposito: Da will ich das Wort Sorgfalt im Zusammenhang beim Umgang mit der Bevölkerung aufs Parkett bringen. Beispielsweise die Abstimmung zur Fussgängerunterführung. Da hat die Bevölkerung keinen Situationsplan bekommen, wo sie sieht, wie viele Parkplätze verloren gehen.

Der Vorwurf, dass man sich als Stimmbürger übergangen fühlt, kam in etwa ähnlich schon beim geplanten Kreisel beim Coop, oder beim Dach der SBB-Unterführung, welches am Schluss auf den Plänen 30 Meter länger eingezeichnet war als damals vom Stimmvolk abgesegnet.

Ernst: Das ist nicht ganz richtig. Bei der Fussgängerunterführung war in der Weisung aufgeführt, dass Parkplätze verloren gehen. Im Übrigen bemüht sich der Gemeinderat natürlich, dass im Zeitpunkt der Abstimmung bereits so viele Details wie möglich bekannt sind. Leider ergeben sich aber manchmal bei der Detailprojektierung im Nachhinein Änderungen. Dies vor allem dann, wenn nicht die Gemeinde Küsnacht, sondern – wie bei der Unterführung oder dem Kreisel – etwa die SBB oder der Kanton die Grundeigentümer und Bauherren sind.

Esposito: Ich glaube, das betrifft aber trotzdem genau das, was ich als Sorgfalt bezeichne. Ich als Architekt verifiziere vorgängig mit der Eigentümerpartei das Projekt. Wir haben da ja ganz viele Behörden: Denkmalpflege, UGZ, ERZ und so weiter. Und mit dem verifizierten, im Grundsatz so realisierbaren Projekt gehe ich dann an die Grobkostenschätzung und unterbreite der Bauherrschaft diese. Das ist dann ein gemeinsamer Prozess, bei dem die Bauherrschaft jederzeit sagen kann, wo sie es anders haben will. Und diesen Gegensatzvereinbarungsprozess vermisse ich bei der Gemeinde komplett.

Was meinen Sie genau mit dem Begriff ­Gegensatzvereinbarung?

Esposito: Am Beispiel der Fussgängerunterführung heisst das: Die SBB will dieses, die Gemeinde etwas anderes. Also muss man sich zusammenraufen und den gutschweizerischen Kompromiss suchen, eine kreative Idee, eine Alternative. Ich habe dazumals kostenlos einen Vorschlag zur Unterführung gemacht, die den hinteren Teil des Parkplatzes ins Zentrum angegliedert hätte. Heute kommt jener Ort ja wie ein Blinddarmfortsatz daher. Ich meine, Küsnacht ist eine der reichsten Gemeinden und hat im Herzen Baustellenfahrzeuge herumstehen. Das zeigt, dass planerisch etwas nicht funktioniert.

Herr Ernst, läuft planerisch tatsächlich ­etwas falsch in Küsnacht?

Ernst: Ich möchte vorausschicken, dass Herr Espositos damalige Behauptung, man könne seinen Vorschlag zur Unterführung für eine Million Franken realisieren, völlig unrealistisch war. Im Übrigen stellen grosse Planungen Behörden und Bevöl­kerung heute tatsächlich vor grosse Herausforderungen, weil extrem vielfältige, häufig eigentlich nicht miteinander zu vereinbarende Interessen im Raum stehen. Beim SBB-Areal hat der Gemeinderat unterstützt, dass dieses einer Gestaltungsplanpflicht unterstellt wird, weil es eben ein planerisch wichtiger Ort ist. Dadurch soll die Bevölkerung mitreden können. Aber es bleibt ein Privatgrundstück der SBB.

Esposito: Felix Thyes, leider verstorbener Architekt aus Küsnacht, und ich haben notabene die Gemeinde dazu genötigt, auf dem Areal der SBB einen öffentlichen Gestaltungsplan zu machen. Die Gemeinde wollte selber einen privaten Gestaltungsplan machen. Der Nachteil: Den kann man später nicht nachbessern, der öffentliche kann modifiziert werden. Es ist also kein Verdienst der Gemeinde, sondern von Felix Thyes und mir.

Ernst: Das trifft nicht zu. Das Bürgerforum hat einen Vorschlag gemacht, welchen der Gemeinderat unterstützt hat.

Esposito: Aber es ist wichtig, einmal mehr zu betonen – wie bei der Aufnahme der Flüchtlinge –, dass initial der Vorschlag nicht von der Gemeinde aus gekommen ist, sondern von Privaten.

Ernst: Es ist auch nicht verboten, sondern geradezu erwünscht, dass sich die Bevölkerung mit guten Ideen einbringt.

Das gerade ist ja urdemokratisch, Herr Esposito. Trotzdem lautet ihr Motto bei diesen Wahlen «Rückkehr zur Demokratie». Warum?

Esposito: Ich bleibe dabei, die Gemeinde war nicht initial verantwortlich für diesen Vorstoss. Ich kritisiere nur, dass eine Ini­tialidee von Privatpersonen auf die Goodie-Seite der Gemeinde geschrieben wird.

Ernst: Ich sehe es eher so, dass Sie ein Thema aufgegriffen und ich die Fakten dazu erläutert habe.

Nehmen wir nochmals Ihr Motto für den Wahlkampf, Herr Esposito: Sie wollen, dass politische Entscheide wieder nachvollziehbar werden. Die Kommunikation soll wieder von einer Einbahnstrasse auf Gegenverkehr umstellen, wie Sie es nennen. Was sagen Sie, Herr Ernst, dazu?

Ernst: Natürlich nimmt der Gemeinderat das Bedürfnis der Bevölkerung nach Dialog sehr ernst. Er hat deshalb in den vergangenen vier Jahren über 25 politische Themenabende, Informationsveranstaltungen und Workshops veranstaltet. Mich verwundert einfach etwas, dass ich viele der Kritiker gar nie an einem solchen Anlass angetroffen habe. Herrn Esposito kann man diesen Vorwurf nicht machen, er ist ein reger Teilnehmer.

Ernst: Das stimmt.

Beim geplanten Coop-Kreisel kam der Vorwurf aus der Bevölkerung, dass sich die Gemeinde zu wenig für den Willen der Bevölkerung einsetze und sich hinter dem Kanton verstecke. Am Schluss wurde das Projekt nur mittels einer Einzelinitiative des Bürgerforums gestoppt – vorläufig.

Ernst: Zum Verständnis: Das Bürgerforum kann dieses Projekt ebenso wenig mit einer Einzelinitiative stoppen, wie dies der Gemeinderat kann. Das hat nichts mit ver­stecken zu tun, sondern mit Eigentums­verhältnissen. Das Beispiel zeigt aber exemplarisch, dass der Gemeinderat den Willen der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und nun zusammen mit dem Kanton nach einer besseren Lösung sucht.

Und wäre eine nochmalige Abstimmung nicht möglich gewesen?

Ernst: Nein, weil es das ursprüngliche Projekt wegen der Ablehnung der Zentrumsentwicklung in dieser Form gar nicht mehr gibt. Die Rahmenbedingungen haben sich ja komplett geändert, vor allem, weil das Projekt Zentrumsentwicklung abgelehnt wurde. Die Bevölkerung konnte ihre Einwendungen und Anregungen zum überarbeiteten Vorprojekt einbringen und diese werden nun vom Kanton bearbeitet.

Esposito: Stopp, stopp. Der Gemeinderat könnte freiwillig nochmals darüber be­raten und auch abstimmen lassen, auch wenn das nicht vorgesehen ist. Mir ist wichtig – um zu meinem Motto «Zurück zur Demokratie» zu kommen: Seit ein paar Jahren spielt der Gemeinderat sowohl Legislative wie Exekutive.

Wie meinen Sie das?

Esposito: Ist es beispielsweise ein Anliegen der Bevölkerung, im Wohnquartier Fallacher eine Busgarage für die VBZ zu erstellen? Da könnte man zuerst eine Konsultativumfrage starten und fragen, ist das wirklich ein Interesse?

Die Gemeinde hat das ja gemacht. Sie hat die direkten Anwohner zusammen mit den VBZ an einer öffentlichen Veranstaltung informiert.

Esposito: Sie haben aber schon ein Projekt präsentiert. Das verstehe ich nicht unter Konsultativverfahren.

Ernst: Es gibt kein Projekt.

Esposito: Wir haben schon Pläne gesehen, Halteinseln, Schleppkurven. Was ist das anderes als ein Projekt?

Ernst: Das ist eine Machbarkeitsstudie, kein Projekt. Ein Projekt ist es, wenn man weiss, was gemacht wird. Im Übrigen gibt es ja nicht nur ein einziges Anliegen der Bevölkerung, sondern zahlreiche, welche sich teilweise auch widersprechen: das Interesse an guten Busverbindungen, an wenig Lärm, an umweltverträglichem Transport, an Sportstätten. Dies unter einen Hut zu bringen ist nicht immer einfach, und nicht immer werden die Interessen der Mehrheit am lautesten geäussert. Die Gemeinde hält sich an den Zonenplan, und dort ist eine Zone für öffentliche Bauten, keine Wohnbauten. Sie als Architekt kennen den Unterschied.

Kommen wir zurück auf den Vorwurf, dass die Bevölkerung zu wenig konsultativ einbezogen wird in die Entscheide der Gemeinde. Herr Esposito, können Sie denn weitere Beispiele nennen?

Esposito: Es geht mir mehr um eine Haltung. Es wird beispielsweise eine Machbarkeitsstudie der Migros beim Einfallstor zu Küsnacht vorgestellt und gar nie ein «Go» oder «Okay» der Bevölkerung eingeholt.

Herr Ernst, kürzlich hat die Gemeinde eine Umfrage zur geplanten Busgarage über die VBZ-Website laufen lassen. Ist das in ­Ihrem Verständnis nicht stossend?

Ernst: Die Machbarkeitsstudie der Migros hat diese als privates Unternehmen aus dem eigenen Sack finanziert. Wir können doch nicht im Voraus die Bevölkerung befragen, ob die Migros dies tun darf. Auch die VBZ hat die Machbarkeitsstudie selber finanziert. Diese dient nun als Grundlage, um die Bevölkerung zu den Ideen zu befragen.

Esposito: Es geht um den Dialog. Darum, dass nicht grosse Player Projekte durchdrücken können. Man weiss nicht, was zum Beispiel auf dem Areal des Pflegeheims passiert, das schürt Ängste.

Ernst: Der Gemeinderat hat kommu­niziert, dass er für dieses Areal ein Mitwirkungsverfahren mit der Bevölkerung veranstalten wird. Momentan wird es zwischengenutzt. Das alles war und ist auf den Kommunikationskanälen der Gemeinde zu lesen.

Esposito: Das Pflegeheim am See gehört zum Gesundheitsnetz ...

Ernst: Das trifft nicht zu. Die Pflegeheimplätze des «Seniorenheims am See» wurden mit dem Neubau der Tägerhalde aufgehoben. Das Areal ist deshalb keine Pflegeinstitution mehr.

Esposito: Sie machen plötzlich aus einem Pflegeheim eine Liegenschaft, die kommerziell verwertet werden kann. Es gibt ein Alterskonzept aus dem Jahr 2014, dass dort ­Luxusresidenzen für vermögende Alte entstehen sollen.

Ernst: So steht das nicht wörtlich im Alterskonzept. Im Übrigen ist das Alterskonzept mittlerweile über acht Jahre alt und durch den rasanten Wandel im Alters- und Gesundheitsbereich teilweise überholt.

Was wollen Sie genauer wissen, Herr Esposito? Beim Pflegeheim wurde das Mitwirkungsverfahren ja tatsächlich eröffnet und vom Gemeinderat auch so kommuniziert.

Esposito: Das Problem ist, dass ich persönlich und vielleicht auch andere Teile der Bevölkerung das Vertrauen in den Gemein­derat verloren haben. Wenn man gesehen hat, was mit den Werken am See passiert ist: Der Preis des Wassers ist – seit sie eine AG sind – doppelt so teuer geworden.

Ernst: Das ist schlicht falsch.

(Anm. der Red.: Im Laufe des Gesprächs und nach Überprüfung der Zahlen wird festgestellt, dass sich der Wasserverbrauch von Urs Esposito vergrössert hat.)

Kommen wir zu einem anderen Thema: Im Abstimmungsbüchlein der Gemeinde Küsnacht wird jeweils die Stellungnahme des Gemeinderats wiedergegeben, nicht aber die Argumente der Gegner. Warum?

Ernst: Das macht man nur bei Vorlagen, die von einem Parlament an die Bevölkerung gehen. Überdies informiert der Gemeinderat sachlich über Vorlagen und gibt eine kurze Abstimmungsempfehlung ab.

Läge es nicht in der Kompetenz der Gemeinde, es im Sinne einer guten Information trotzdem zu tun? Gerade, um Vertrauen zu schaffen?

Ernst: Bei einer Einzelinitiativen wird die Stellungnahme der Initianten abgedruckt. Bei anderen Vorlagen können in Versammlungsgemeinden wie Küsnacht keine separaten Stellungnahmen von Gegnern abgedruckt werden, weil es – im Unterschied zu Parlamentsgemeinden – gar nicht möglich ist festzulegen, wer überhaupt die Gegnerschaft vertreten darf.

Beispiel Tobelbrücke: Das Projekt ist seit über eineinhalb Jahren hängig. Die Gemeinde könnte freiwillig, im Sinne eines Zwischenberichts, sagen, was geht.

Ernst: Nochmals: Der Gemeinderat nimmt das Bedürfnis der Bevölkerung nach einer umfassenden Kommunikation sehr ernst. Nebst den erwähnten Anlässen hat er daher in den letzten vier Jahren 76 Medienmitteilungen, 15 Schreiben an alle Haushalte und 875 Newsmitteilungen versandt. Selber stelle ich leider fest, dass ich in den letzten acht Jahren beispielsweise an keine einzige Versammlung von SP oder Grünen eingeladen, wurde, um eine Vorlage vor­zustellen und darüber zu debattieren. Mir scheint, als würden sich einige lieber auf die Rolle der Opposition zurückziehen als den Dialog zu suchen.

Gewisse Bürger und Parteien suchen das Gespräch aber schon und fühlen sich dann teils abgewiesen.

Esposito: Diese Frau an der letzten Gemeindeversammlung, die einen Spielplatz auf dem Gebiet der neuen Alterswohnungen wollte. Die wurde zackig «abeputzt».

Ernst: Ich habe damals nur gesagt, dass jener Antrag unzulässig sei. Mit der Antragstellerin fand im Nachhinein aber ein Gespräch statt.

Esposito: Warum denn? Es war doch ein legitimer Wunsch, warum prüfte die Gemeinde dieses Anliegen nicht?

Ernst: Der Gemeinderat hat dazumal politische Themenabende zu jenem Areal veranstaltet. Die Idee von einem Spielplatz ist nie gekommen. Dann hat der Gemeinderat die Vorlage erarbeitet. Das Gemeindegesetz besagt, dass an einer Versammlung keine wesentlichen Punkte eines Projekts mehr geändert werden können. Hätte ich den Antrag zugelassen und jemand hätte später einen Rekurs gemacht, dann wären wir in Probleme gekommen.

Esposito: Herr Ernst ist sattelfest, was das Regelwerk angeht.

Ernst: Das sollte man als Gemeindepräsident auch sein.

Esposito: Aber er ist nicht sattelfest im emotionalen Umgang mit der Bevölkerung.

Herr Ernst, es fällt auf, dass kurz vor den Wahlen am 15. Mai ganz viele sogenannt heisse Themen vom Gemeinderat noch angegangen werden. Stichwort Dreifachturnhalle, Pflegeheim am See, Ressortverteilung. Gerade Letztere wollte man doch erst nach den Wahlen kommunizieren ...

Ernst: Das trifft nicht zu – der Projektplan hat eine Veröffentlichung zu Beginn des zweiten Quartals vorgesehen.

Ich habe drei Themen aufgezählt.

Ernst: Der Gemeinderat hat in den vergangenen vier Jahren sehr viele Themen angegangen. Gerade beim Ressort Liegenschaften sind unglaublich viele Projekte am Laufen. Ich kann daher selber keine Häufung erkennen. Man muss abgesehen davon auch sehen, dass gewisse Themen einfach Zeit brauchen – manchmal mehr Zeit, als auch dem Gemeinderat lieb ist. Zum Beispiel laufen die Verhandlungen zur Dreifachturnhalle schon bald drei Jahre. Unser Partner war aber bis vor kurzem nicht so weit, dass die Gemeinde etwas hätte kommunizieren dürfen.

Anderes Thema: 9 auf 7. Jetzt wird es enger, Herr Esposito, und Sie wollten schon vor vier Jahren in den Gemeinderat. Warum sollte es ausgerechnet jetzt klappen?

Esposito: Das weiss ich nicht, das weiss die Stimmbevölkerung.

Viele Parteilose haben sich als Kandidaten gestellt. Deuten Sie das auch als ein starkes Signal gegen die FDP, Herr Ernst?

Ernst: Ich begrüsse es grundsätzlich, wenn sich viele Kandidierende zur Wahl stellen und die Stimmbürgerinnen und -bürger eine Auswahl haben. Natürlich gibt die Parteizugehörigkeit einen gewissen Anhaltspunkt für die politische Grundhaltung ­einer Person. Grundsätzlich ist es in der Exekutive aber wichtig, dass man gute Leute hat, die Parteizugehörigkeit ist eher zweitrangig. Ich mache im Gemeinderat jedenfalls keine Parteipolitik.

Wo sehen Sie die Stärken Ihres Konkurrenten, Herr Esposito?

Esposito: Herr Ernst ist sehr stark und kompetent im Wissen um den Mechano der Gesetze. Er ist zudem sehr stark auf der Sachebene, aber er muss etwas stärker werden auf der kreativen und emotionalen Seite, beispielsweise auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung.

Ernst: Staatliches Handeln muss rechtlich korrekt sein. Sonst wird es schwierig. Da hat Kreativität keinen Platz. So ist mir der Vorwurf nach einer GV lieber, ich sei nicht demokratisch, als dass ich etwas gegen das Gesetz durchlasse.

Nun brauchen wir noch ein Wort zu den Stärken Ihres Konkurrenten, Herr Ernst.

Ernst: Die Stärke von Herrn Esposito ist sein visionäres Denken. Er ist sicher sattelfest im Thema Architektur und Bau. Und er hat gute Ideen, wenn ich beispielsweise an den Seetunnel denke. Wenn eine Fee zu mir käme und ich einen Wunsch frei hätte, dann wünschte ich mir auch zwei grosse Tunnels: einen mit einer Schnellstrasse und einen für die Eisenbahn. Das heutige Bahntrassee könnte für die Velofahrerinnen und -fahrer zur Verfügung gestellt werden.

Wie würden Sie es schaffen, Herr Esposito, so viel Präsenz zu markieren wie Herr Ernst in der Gemeinde?

Esposito: Das macht er tatsächlich gut, das kann ich nicht mit gleichem zeitlichem Aufwand wahrnehmen. Ich kandidiere vorwiegend, damit die Bevölkerung eine Wahlmöglichkeit hat. Demokratie funktioniert nur mit Alternativen. Alternativen sind sehr wichtig. Deshalb ist es an der Gemeindeversammlung dafür oft zu spät. Man könnte als Gemeinde die Ideen der Bevölkerung viel früher und noch viel proaktiver einholen.

Ernst: Man kann sich bei der Gemeinde jederzeit melden und uns anrufen. Wir haben immer ein offenes Ohr.

Sie beide engagieren sich für Küsnacht. Was ist Ihre Vision für die Gemeinde?

Ernst: Mir ist wichtig, dass Küsnacht wei­terhin ein attraktives Dorf mit hoher Le­bensqualität, einer guten Infrastruktur und einem vielfältigen Angebot für alle Bevölkerungsgruppen bleibt. Dass wir politische Mehrheiten finden für Projekte, die wir machen wollen. Dass wir uns energetisch erneuern und den Weg der Digitalisierung kon­sequent weiterschreiten. Ich verstehe die Gemeindeentwicklung als Evolution und nicht als Revolution.

Esposito: Ich bin auch nicht für eine Revolution. Ich bin für eine sanfte Modifizierung. Was ich aber will, ein zentrales Anliegen, ist, dass wir sämtliche sozialen Schichten berücksichtigen und nicht den Fokus auf die sehr Vermögenden legen. Dass wir eine offene Gemeinde sind, für alle, natürlich auch die Reichen Ich bin ja selber froh um den tiefen Steuerfuss. Ich will den Seeuferweg erweitern. Und: Die Bevölkerung wächst, so soll auch das Naherholungsgebiet entsprechend mitwachsen.