Schrumpfkur für die Bellerivestrasse geplant

Erstellt von Lorenz Steinmann |
Zurück

Wenn es nach dem Willen des Stadtrats geht, soll die Bellerivestrasse nächsten Frühling versuchsweise von vier auf zwei Fahrspuren halbiert werden. Ein «Angriff auf die Autofahrer» oder «endlich mehr Platz für Velos»?

«Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens zur Bellerivestrasse wird ab Frühjahr 2021 ein halbjähriger Verkehrsversuch durchgeführt», heisst es in der Medienmitteilung der Stadt. Dieser sehe in der Bellerivestrasse die abschnittsweise Reduktion von vier auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr sowie eine beidseitige Veloinfrastruktur vor. Diese trockenen Zeilen und vor allem die mündliche Vorankündigung im Gemeinderat durch Tiefbauvorsteher Richard Wolff (AL) haben eingeschlagen wie eine Bombe.

Der «Tages-Anzeiger» und die «Neue Zürcher Zeitung» berichteten von den Reaktionen der Gemeinderäte, der Auto- und der Gewerbeverbände. Diese fühlen sich «gegängelt». Der Kanton ist sauer, weil er offenbar nicht gefragt wurde vorher. Besonders scharf fiel die Kritik seitens der Zürcher Sektion des Automobil-Clubs der Schweiz (ACS) aus. Er verlässt nun die Begleitgruppe der Bellerivestrassensanierung, weil der Versuch dort nicht vorbesprochen wurde. «Was provisorisch eingeführt wird, wird meistens zum Providurium», sagte ACS-Zürich-Direktor Lorenz Knecht im «Tages-Anzeiger». SVP-Gemeinderat Stephan Iten sprach von einem «als Testlauf getarnten Angriff auf die Autofahrer der Landbevölkerung». Am Mittwoch vor einer Woche hatte Richard Wolff im Gemeinderat geflunkert, dass der Kanton mit dem Versuchsbetrieb einverstanden sei. Laut der NZZ stimme dies nicht. Der Stadtrat habe im Parlament den Sachverhalt «zugespitzt und verkürzt» wiedergegeben, wie Wolffs Sprecher Pio Sulzer sagte. Der Kanton habe sich inhaltlich einfach nicht zum Versuch geäussert. Für den Testlauf brauche es aber auch keine explizite Zustimmung des Kantons. Doch hier gehen die Meinungen auseinander.

SVP Küsnacht will rekurrieren
Die SVP Küsnacht fordert mit Schreiben vom Montag an die Volkswirtschaftsdirektorin, Carmen Walker Späh (FDP) gar eine anfechtbare Verfügung. Dort müssten die Rechtsgrundlagen aufgeführt sein, warum die Stadt Zürich die Bellerivestrasse – als kantonale Hauptverkehrsstrasse der höchsten Klassifikationsstufe – im Rahmen eines Versuchs von vier auf zwei Spuren reduzieren will.

Doch warum überhaupt die Diskussion um die Bellerivestrasse? Diese befindet sich laut der Stadt Zürich in einem schlechten Zustand und muss erneuert werden. Um ein realisierbares und konsensfähiges Sanierungsprojekt zu erarbeiten, führt das Tiefbauamt seit 2019 ein Beteiligungsverfahren mit den Interessengruppen aller Verkehrsteilnehmenden, dem örtlichen Quartier- und Gewerbeverein sowie Anwohnenden durch. Zwei der drei geplanten Workshops fanden statt, der dritte Workshop musste aufgrund der Coronavirus-Pandemie von Mai auf Mitte Dezember 2020 verschoben werden.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus den bisherigen Workshops war laut der Stadt Zürich «der Wunsch, eine Reduktion von vier auf zwei Fahrspuren» für den motorisierten Individualverkehr sowie die Anordnung zweier Velospuren anstelle von zwei Autospuren zu testen. Verkehrsstudien als Grundlagen für den Verkehrsversuch hätten ergeben, dass mit dieser Reduktion im Abschnitt Bahnhof Tiefenbrunnen bis Kreuzstrasse das heutige Verkehrsaufkommen weiterhin bewältigt werden könne. «Leistungsbestimmend ist heute wie auch während des Verkehrsversuchs der Flaschenhals Bellevue», ist die Stadt überzeugt. Unter den Teilnehmenden des Beteiligungsverfahrens habe weitgehend Einigkeit bestanden, dass die Auswirkungen einer abschnittsweisen Reduktion der Fahrspuren mit einem Verkehrsversuch einem «Realitätscheck» unterzogen werden sollen.
Der Start des Verkehrsversuchs ist zu Beginn der Velosaison im April 2021 geplant und würde voraussichtlich ein halbes Jahr dauern. Sicher ist, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.