Alfred, 79 Jahre alt, würde gerne wieder einmal im Jelmoli in der Innenstadt einkaufen gehen. Stadtbeobachterin Sabrina Strub, 22 Jahre alt, erfüllte ihm diesen Wunsch und betrat das Warenhaus an der Bahnhofstrasse kurz vor dem Lockdown. Es erwartete sie eine mitreissende Welt voller Eindrücke.
Die sechs Buchstaben an dem Häuserblock sind schon von Weitem sichtbar: Jelmoli. Es ist Donnerstagmorgen, 10 Uhr, und das Kaufhaus öffnet seine Türen. Vor mir tun sich sechs Stockwerke Einkaufserlebnis auf. Im Untergeschoss finde ich Lebensmittel. Köche bereiten Gerichte vor, die verlockend duften. Gemüse und Früchte sind wie Kunstwerke aufgeschichtet und drapiert. Darunter sind solche, die ich noch nie gesehen habe und deren seltsame Namen bereits auf ihre exotische Herkunft hindeuten: Physalis, Kumquat, Salakfrucht oder Guave heissen sie und kommen aus Thailand, Malaysia und anderen fernen Ländern.
Daneben leuchten rote Kirschen. Herkunftsland: Peru. Ich schüttle den Kopf. Ist es wirklich nötig, sie um die halbe Welt zu transportieren, nur damit wir auch im Winter Kirschen essen können? Zwischen teurer Schokolade und Teigwarengeschenkpaketen muss ich den Weg zurück zur Rolltreppe suchen, weil ich mich nicht mehr erinnere, in welcher Richtung sie liegt.
Im Erdgeschoss spaziere ich auf dem glänzenden Marmorboden geschlungene Wege entlang, als wäre das hier eine Parklandschaft mit Kieswegen, die um Blumenbeete und Büsche herumführen. Doch statt Blumen duften Parfumauslagen und statt Büschen gibt es Hüte, Uhren, Handtaschen und Schmuck zu betrachten. Alles ist nach Marken sortiert, jede hat ihre eigene kleine Insel. Verkäuferinnen stehen hinter den Vitrinen oder schwingen flauschige Staubwedel. Ob sie lächeln oder gelangweilt dreinblicken, ist hinter den Masken nicht zu erkennen. Um diese Uhrzeit hat es mehr Verkäufer als Kundinnen. Ich fühle mich von ihnen beobachtet und traue mich kaum, die Auslagen etwas länger zu betrachten, um nicht gefragt zu werden, wonach ich suche oder womit sie mir behilflich sein könnten. Ich möchte einfach in Ruhe schauen, die Atmosphäre auf mich wirken lassen. Die meisten Produkte sind nicht mit einem Preisschild versehen, was ein klarer Hinweis darauf ist, dass sie wohl ein Studentinnenbudget übersteigen würden. Die oberen Etagen beherbergen vor allem Kleider für Damen, Herren, Kinder, Sport. Auch hier elegant gekleidete Verkäuferinnen und dezente Hintergrundmusik. Ballkleider, Lammfellmäntel, Blazer hängen an den Kleiderbügeln. Buntgemusterte seidene Morgenmäntel bringen mich zum Lachen. So etwas kenne ich nur aus Filmen. In der Haushaltswarenabteilung sind bemalte und gemusterte Teller aufgestellt wie im historischen Museum.
Während ich so durch die Gänge schlendere, fällt mir auf, dass sich die Kundinnen in zwei Gruppen einteilen lassen. Es gibt die, denen es wohl ähnlich ergeht wie mir: Sie schauen sich staunend um und betrachten hie und da verstohlen ein Preisschild. Nur bei den Aktionen, auf die dezent gehaltenen Kärtchen hinweisen, trauen sie sich, etwas länger zu schauen.
Und dann gibt es die Kunden, die sich hier wie selbstverständlich bewegen, Objekte und Kleider fachmännisch mustern, sich entspannt beraten lassen und wohl auch nicht nach dem Preis fragen; weil dieser keine Rolle spielt. Obwohl es hier noch so viel mehr zu erkunden gäbe, wende ich mich schliesslich zum Gehen; erschöpft von diesem Besuch, der mich in eine andere Welt entführt hat.
Sabrina Strub*
*) Die Stadtbeobachterinnen und Stadtbeobachter aus dem Jungen Literaturlabor JULL berichten für jene, die (weiter) zu Hause bleiben müssen, von «Wunschorten». Möchten Sie eine(n) der jungen Schreibenden an Ihren «Wunschort» schicken? Wir freuen uns über Vorschläge an office@jull.ch oder lorenz.steinmann@lokalinfo.ch.