Im Volk war der Beruf geächtet, am Ende half nur eine Namensänderung: Ein neues Buch beleuchtet das Zürcher Scharfrichtertum und die Geschichte der Familie Volmar-Steinfels.
In der Familie Steinfels war das Thema lange tabu. So richtig wollte sich keiner mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Der Grund: Ihre Ahnen waren Scharfrichter in Zürich gewesen. Sie hatten die Aufgabe, Diebe, Mörder, «Hexen», aber auch Schwule hinzurichten und unter Umständen für ein Geständnis vorher zu foltern.
«Man sprach stets nur ungern von diesen Vorfahren, da man auch viele Generationen später noch glaubte, dies würde dem gesellschaftlichen Ansehen schaden», schreibt Marc Steinfels im neuen Buch «Vom Scharfrichteramt ins Zürcher Bürgertum». Mit dem Historiker Helmut Meyer hat der Sohn einer Waschmittelfabrikanten-Familie ein reich illustriertes Werk veröffentlicht. Vom
Industriebetrieb ist das Steinfels-Areal im Kreis 5 geblieben. Im Buch geht es allerdings nicht um die Waschmittel-Ära. Meyer und Steinfels fokussieren in ihrem Buch auf die Geschichte des schweizerischen Scharfrichterwesens. Das Werk spannt einen Bogen von 1520 bis 1830. Dabei steht die Scharfrichterdynastie Volmar im Mittelpunkt. Einem Zweig der Familie gelang es mit viel Aufwand, die Scharfrichterkaste zu verlassen. Erst eine Namensänderung zu Steinfels ermöglichte die vorbehaltlose Aufnahme im Zürcher Bürgertum.
Der Scharfrichterberuf war zwar nicht angesehen, erforderte aber trotzdem eine Ausbildung wie jedes andere Handwerk. Nach Lehre und Wanderschaft wartete der Meisterbrief – für eine gelungene Enthauptung. Seit dem 16. Jahrhundert ging das Amt vom Vater an den Sohn oder allenfalls den Schwiegersohn über. Nachkommen von Scharfrichtern durften nicht ausserhalb ihrer Kaste heiraten. Dadurch entstanden weitverbreitete Scharfrichterdynastien, ähnlich wie bei Adelshäusern.
Zehn Pfund fürs Hängen
Das Buch zeigt ein Jahr im Leben von Paulus I. Volmar auf. 1587 übernahm er die Stelle als Scharfrichter in Zürich. Es gab 16 Verurteilungen zum Tod, eine Begnadigung von der Todesstrafe, 11 weitere Verurteilungen zum Pranger, 19 Ehrloserklärungen, 6 Landesverweise, eine Busse und 6 Entlassungen mit der Begründung, die Untersuchung habe als Strafe ausgereicht.
Eindrücklich sind die etwas morbiden Beschreibungen der verschiedenen Foltermethoden und Todesarten. Ein Kapitel widmet sich der Rechtsordnung. «Die Todesstrafe hatte mehrere Funktionen. Einmal konnten die Hingerichteten nicht mehr neue Taten begehen. Zum anderen sollte sie abschrecken», steht dort trocken. Der Scharfrichter erhielt 1701 ein Grundeinkommen von etwa 500 Pfund – der damaligen Währung in Zürich. Gemäss der Tarifordnung gab es für die Androhung der Folter beispielsweise ein Pfund, für Hängen zehn Pfund.
Den Abschluss des Buchs bildet ein umfangreicher Anhang – der einige Leserinnen und Leser wohl an ihre Studienzeit erinnern wird. «Vom Scharfrichteramt ins Zürcher Bürgertum» eröffnet eine spannende Perspektive auf Zürich und die Geschichte des Schweizer Strafvollzugs.
Marc Steinfels, Helmut Meyer: Vom Scharfrichteramt ins Zürcher Bürgertum. Chronos Verlag, 2018. 336 Seiten.