Sihlcity-Kirche: Wo Muslime und Christen zur selben Zeit beten

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Zehn Jahre Einkaufszentrum Sihlcity, zehn Jahre Alltagshektik, -lärm und -stress – und mittendrin ein Ort der Ruhe und Stille, die Sihlcity-Kirche. Mit dabei: Thomas Münch, ehemals Seelsorger der Pfarrei Dreikönige in der Enge.

Auf dem Platz, wo heute Verkaufsläden, Gastronomiebetriebe, Kultur und Kirche zu Hause sind, lieferten im letzten Jahrhundert Lastwagen um Lastwagen Rohstoffe für Papier, Karton und Pappe an. 150 Jahre produziert die Papierfabrik an der Sihl Material für die grafische Branche, bis 1973 die Ölkrise ihren Tribut fordert. Erst Kurzarbeit, dann Stilllegung des Maschinenparks. Es wird ruhig um das Fabrikareal. Einige Hallen und Werkstätten werden noch von Künstlern, Freigeistern und Dadaisten eingenommen.

Vor zehn Jahren dann erhebt sich, wie Phönix aus der Asche, ein neues Einkaufs- und Freizeitzentrum – eine kleine Stadt in der Stadt. Vier der alten Fabrikgebäude werden sorgfältig saniert und in die «City an der Sihl» integriert. Hier die Moderne, dort mit ihrem 60 Meter hohen Kamin die steinernen Zeitzeugen der Zürcher Geschichte.

Schweigen oder reden?

In Sihlcity pulsiert das Leben Tag und Nacht. Täglich kommen und gehen, eilen und hasten rund 24 000 Menschen über den grossen Marktplatz. Inmitten der Hektik, der Geschäftigkeit, dem Jagen nach modischen Artikeln oder günstigsten Schnäppchen finden Menschen in der Sihlcity-Kirche einen Ort der Ruhe. Die Schlichtheit des Raumes bildet einen Kontrast zur glitzernden Aussenwelt. Hier kann man innehalten und Distanz zum Alltag finden. Die Sihlcity-Kirche liegt etwas versteckt im 1. Stock der ehemaligen Aufrüsterei und ist zugänglich für alle Menschen jeden Alters, unabhängig ihrer Herkunft, Konfession und ihres Glaubens. Auf der Eingangstür sind die Symbole der fünf Weltreligionen angebracht. Das Glasfenster mit der farbenfrohen Komposition «Begegnungen» wurde vom Schweizer Künstler Hans Erni geschaffen. Es steht für Friede und Gerechtigkeit für Mensch, Tier und Umwelt. Jeder Besucher kann im Raum der Stille meditieren, beten und philosophieren. Täglich, ausser sonntags, stehen allen Personen Ulrike Henkenmeier (christkatholisch), Thomas Münch (römisch-katholisch) oder Jakob Vetsch (evangelisch-reformiert) zu anonymen und unentgeltlichen Gesprächen zur Verfügung. Thomas Münch war über 20 Jahre lang im Kreis 2 (kath. Kirche Dreikönige) tätig.

Interreligiöses Miteinander

Thomas Münch, Seelsorger Sihlcity-Kirche: «Wir begleiten Menschen mit Fragen rund um Glaube und Religion, beim Umgang mit dem Verlust von geliebten Menschen, bei Beziehungsproblemen oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Besonders auch jüngere Menschen suchen diese Art der Auseinandersetzung mit sich und ihrem Leben.»

Am Empfang begrüssen freiwillige Mitarbeiter die Gäste, betreuen die Kapelle und den Gemeinschaftsraum. Sie stellen die Verbindung zu den Seelsorgepersonen her und kümmern sich um den wöchentlichen Mittagstisch. Man kann auch mit ihnen ins Gespräch kommen und bei einer Tasse Kaffee oder einem Mineralwasser über Gott und die Welt reden. «Gerade das Zusammentreffen unterschiedlicher Religionen fasziniert mich immer wieder, wenn Muslime und Christen zur selben Zeit beten und sich dann bei uns bedanken, dass es einen solchen Ort wie unseren gibt», schliesst Thomas Münch das Gespräch. (bau.)