Das Gefängnis Zürich West, das Teil des neuen Polizei- und Justizzentrums PJZ in Zürich ist, wird im April seinen Betrieb aufnehmen. Im Vorfeld wurde der Gefängnisbetrieb mit «freiwilligen Häftlingen» getestet. Für Lokalinfo liess sich Salomon Schneider für 24 Stunden in Polizeihaft nehmen.
«Leeren Sie bitte Ihre Taschen, platzieren Sie alles in dieser Box und kommen Sie mit», begrüsste mich eine freundliche, aber bestimmte Aufseherin und Betreuerin beim vereinbarten Eintritt ins Polizeigefängnis. All meine Habseligkeiten wurden eingezogen. Für den Testbetrieb im Gefängnis Zürich West, das sich im neuen Polizei- und Justizzentrum PJZ in Zürich befindet, ist es mir als Journalist einzig erlaubt, eine Kamera und einen nicht internetfähigen Laptop mitzunehmen.
Die Aufseherin führt mich zur Wartezelle: «Setzen Sie sich, es hat einen Wasserhahn und eine Toilette. Sie werden dann an der Tür am anderen Ende des Raumes abgeholt, dann wird eine Leibesvisitation gemacht.» Das war es. Die Tür fliegt in die Angel. In der Wartezelle bestehen Stuhl, Tisch und Wände aus grauem, gegossenem Beton. Alles ist sehr grau. Ich setze mich auf die Bank und warte. Ich bin es nicht mehr gewohnt, einfach zu warten. Ich plane präzise, um Wartezeiten zu vermeiden, und wenn ich warten muss, nutze ich die Zeit meistens, um auf meinem Telefon Nachrichten zu lesen. Manchmal sitze ich auf einer Bank, geniesse die Aussicht und die Sonne. Diese Momente sind ganz bewusst gewählt, mit Warten haben sie nichts zu tun.
Gedankenkarussell im Gefängnis
Meine Gedanken kreisen um die bevorstehende Inhaftierung. Polizeihaft passiert spontan, also habe ich mich mental bewusst so wenig wie möglich vorbereitet, um der Realität einer spontanen Verhaftung möglichst nahe zu kommen. Ich lasse mich bewusst einsperren, um dann darüber zu berichten. Doch normalerweise berichten Menschen, die verhaftet werden, nicht öffentlich darüber. Ich aber will von meinen Erfahrungen berichten. Mir wurde eine rote Karte in die Hand gedrückt. Ich kann sie jederzeit zeigen, um sofort entlassen zu werden.
Die Zeit vergeht wie eine zähflüssige Masse, langsam, schleppend. Manchmal höre ich Stimmen, Schlüssel, die in Schlössern gedreht werden und Türen, die geöffnet und wieder geschlossen werden. Für meine Zelle scheint sich niemand zu interessieren. Ich beginne mich zu fragen, ob hier im Betrieb besonders langsam gearbeitet wird. Schliesslich gehört der Betrieb zur kantonalen Verwaltung und die Kundschaft gehört wohl nicht zu jenem Klientel, das sich beschwert.
Auch die Ausgestaltung der Zelle wirft Fragen auf. Es wäre problemlos möglich, sie mit Naturbildern zu tapezieren, wie es sie in den Toiletten der Intercity-Züge gibt. Schliesslich befinde ich mich in Polizeihaft – es gilt also die Unschuldsvermutung. Der Aufenthalt sollte deshalb möglichst angenehm gestaltet werden. Schliesslich kann es jedem passieren, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein oder jemandem zu gleichen, nach dem gefahndet wird.
Ausziehen, bücken und Zunge raus
Nach 45 Minuten geht zuerst die Klappe in der Tür auf und dann die Tür selbst. Ab jetzt haben alle Türen Klappen, Sichtfenster und sind sonst aus massivem Stahl gefertigt. Zuerst wird geklopft, dann geht die Klappe auf und wenn alles «normal» aussieht, wird die Türe mit dem Schlüssel geöffnet. Zwei Betreuungs- und Aufsichtspersonen des Gefängnisses erwarten mich, führen mich ins Aufnahmezimmer, stellen mir einige Fragen zur Person, machen ein Foto und dann muss ich mich ausziehen.
«Handflächen nach vorne und jetzt nach hinten! Heben Sie den Hodensack an! Drehen Sie sich um und gehen Sie in die Knie! Öffnen Sie den Mund, strecken Sie die Zunge heraus, heben Sie die Zunge!», führt der Aufseher und Betreuer im Befehlston die Leibesvisitation durch. Ich hätte nichts, wirklich gar nichts irgendwo verstecken können. Andererseits bin ich darin auch nicht geübt. Im Anschluss erhalte ich Unterwäsche, eine schwarze Trainerhose, grauschwarze Crocs und einen grauen Pullover.
Es geht weiter in den nächsten Raum, der wie eine Schleuse gebaut ist. Dieses Mal ist er nur mit einer grauen Bank ausgestattet, natürlich aus gegossenem Beton. Der einzige Farbtupfer stammt vom roten Notknopf, den ich drücken könnte. Meine Crocs sind neu und haben noch je zwei Sticker drauf, einer mit der Gebrauchsanweisung und einer mit der Schuhnummer. Ich löse die Sticker vom ersten Schuh und klebe sie an die Wand. Es ist das einzige Bisschen Individualität in diesem grauen Raum. Dadurch wird dieser graue Ort etwas zu meinem Raum. Es tut mir gut, dass ich jetzt in «meinem» Raum sitze. Doch dann denke ich daran, dass meine Zelle ja vielleicht genauso trist eingerichtet ist. Ich löse die Sticker wieder von der Wand und klebe sie wieder in die Schuhe. Sie sollen auch meiner Zelle Individualität verleihen.
Risotto und ein Kondom
Nach 20 Minuten in diesem Raum werde ich von einer jungen Vollzugsbeamtin abgeholt und zu «meinem» Zellenblock geführt. Es ist die Zelle 111, eine von 241 Zellen. Es ist eine Zweierzelle, wie alle Zellen des Polizeigefängnisses – abgesehen von der Arrestzelle. Luca ist schon seit einem Tag hier, steht auf und wir reichen uns die Faust. Dann setze ich mich auf mein Bett und wir stellen uns vor und erzählen einander weshalb wir hier sind.
Dann kommt das Mittagessen – Risotto mit Salat. Die graue Masse sieht nicht appetitlich aus, schmeckt aber gut; leider ist die Portion so klein, dass ich bei Weitem nicht satt werde. Doch ich verstehe, dass es nicht gut aussehen würde, wenn Menschen übergewichtig aus dem der Haft entlassen würden.
Anstelle meiner persönlichen Gegenstände wurde mir eine Box überreicht, mit Papier, einem Glas, einem Becher, Taschentüchern, Ohrstöpseln, Pflastern, Besteck, Seife, Zahnpasta und Zahnbürste. Auch mit in der Box: ein Kondom. Es wird offenbar davon ausgegangen, dass auch im Gefängnis Gelegenheit Liebe macht und auch beim Sex auf Sicherheit geachtet wird. In einem Gefängnis nur passend.
Hofgang unterm Stahlgitternetz
Für Bewegungsmöglichkeiten sorgt der Hofgang, auf einem der vier Höfe auf dem Dach. Sie sind karg ausgestattet, mit zwei Kraftgeräten, zwei Pingpong-Tischen und viel grünen Flexmatten, wie sie auch auf Spielplätzen eingesetzt werden. Gegen oben sind die Höfe offen, jedoch mit einem dichten Stahlgitternetz versehen, damit keine Drohnen Pakete liefern können. Schnell bilden sich Grüppchen und es entsteht ein reger Austausch. Alle sind aus einem guten Grund hier. Die Erfahrung ist aufregend und neu.
Der Nachmittag in der Zelle zieht sich hin. Luca sitzt auf dem Bett und liest, ich sitze am Tisch und schreibe. Manchmal unterhalten wir uns etwas. Um 17.30 Uhr tritt Luca aus. Ich merke, wie sich eine gewisse Routine einstellt. Ich habe mich an «mein» Zimmer gewöhnt und fühle mich erstaunlich wohl. Ich lege mich hin und schaue eine Dokumentation über den Bankier Josef Ackermann, den ehemaligen CEO der Deutschen Bank. Es war ein emotional auslaugender Tag. Um 21 Uhr schlafe ich ein.
Zwischen schnarchen und schlafen
Kurz vor 24 Uhr werde ich geweckt. «Sie kriegen einen Zellengenossen», sagt der Aufseher und Betreuer und öffnet die Tür. Schlaftrunken begrüsse ich den Neuankömmling und schlafe weiter. In der Nacht werde ich immer wieder von schnellen, lauten Klopfgeräuschen geweckt. Irgendwann bin ich soweit wach, dass ich meinen Zellengenossen frage, ob er diese Geräusche auch höre: «Das bin ich. Wenn ich auf die Matratze schlage, schnarchst du nicht.» Ich entschuldige mich, drehe mich auf die Seite und schlafe weiter. Um 6.45 Uhr werden wir über die Gegensprechanlage geweckt. Wir stehen auf, lernen einander kennen und merken schnell, dass wir beide von unseren Partnerinnen auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht wurden, am Testbetrieb teilzunehmen – eine erste Gemeinsamkeit.
Das Frühstück ist karg; wenigstens gibt es genügend Kaffee. Um 9.45 Uhr kommt ein Aufseher und nimmt mein Bettzeug und die ausgehändigten Sachen in Empfang. Danach kann ich meine Alltagskleidung anziehen und denke, dass ich gehen kann. Es dauert jedoch noch eine geschlagene halbe Stunde, bis die Austrittsformalitäten erledigt sind.
Ich werde aus dem Zellenblock geführt und erhalte am Ausgang des Gefängnisses von der Aufsichts- und Betreuungsperson meine Wertsachen zurück. Dann trete ich ins Freie und bin heilfroh. Denn so erträglich der Aufenthalt im Gefängnis Zürich West war, wieder Freiheit in all ihren Facetten leben zu können, ist unbezahlbar.