So könnte Zürich nachhaltiger bauen

Erstellt von Pascal Turin |
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Kaum ein Neubau kommt ohne Beton aus, dessen Produktion weltweit Milliarden Tonnen CO2 verursacht. Doch darüber, ob abgerissen oder saniert wird, entscheiden ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte. Und der Baustoff Beton ist gar nicht das Hauptproblem.

Für viele ist es ein Schock. Sie leben teilweise schon jahrelang in ihrer Siedlung, wenn die Hiobsbotschaft eintrifft: Die Besitzerinnen und Besitzer planen einen Neubau, das Haus wird abgerissen. Oft wehren sich die Bewohner, versuchen mit Interessensgemeinschaften die Eigentümerinnen von der Abkehr zu überzeugen. Die Politik wird eingespannt, die Stadt um Hilfe gebeten. Häufig bringt der ganze Widerstand wenig. So etwa bei der Hofacker-Siedlung in Hirslanden, wo die Bagger längst aufgefahren sind.

Mediale Aufmerksamkeit erhielt der geplante Neubau der Siedlung Brunaupark in Wiedikon. Kritisiert wurde insbesondere der Abriss von Gebäuden, die noch über eine gute Bausubstanz verfügen. Die Grossüberbauung verzögert sich nun, aber hauptsächlich, weil die Gerichte den Lärmschutz seit einiger Zeit höher gewichten als früher. Das Projekt wird überarbeitet und vorerst das Ladenzentrum der Migros renoviert.

Grosse Investitionen nötig

Die Stadt Zürich muss verschiedene Aspekte berücksichtigen. Es wird Bevölkerungswachstum prognostiziert, weshalb es mehr Wohnraum braucht. Schlagwort: Verdichtung. Ebenso hat die Stadt den Auftrag, gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern. Gleichzeitig soll der Grünraum erhalten bleiben. Nicht zu vergessen wäre der Denkmalschutz, die Erreichung der 2000-Watt-Ziele und die selbst auferlegte Klimaneutralität bis 2040.

Wie die «Republik» kürzlich berichtete, hat die Stadt vergangenes Jahr eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, wie sie Netto-Null erreichen könnte. Netto-Null bedeutet, dass alle Treibhausgasemissionen durch Ausgleichsmassnahmen der Atmosphäre entzogen werden müssen.

Im Sinne einer klimaneutralen Limmatstadt sollten eigentlich die 2020 bestehenden Gebäude praktisch auch 2050 noch alle stehen, heisst es in der Studie. Jedoch mit energetischen Erneuerungen, wie angefügt wird. Doch das bedingt grosse Investitionen der Eigentümerinnen und Eigentümer und wohl finanzielle Förderung durch den Staat.

Holz und Beton nicht ausspielen

Gemäss einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen macht der Bau- und Gebäudesektor 38 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus. Mitverantwortlich ist der Baustoff Beton, dessen Produktion Milliarden Tonnen CO2 verursacht. Ausserdem verursachen Gebäude im Betrieb Treibhausgase, fürs Heizen oder Kühlen. Zusätzlich steckt die beim Bauen verbrauchte Energie als sogenannte «graue Energie» in den Wänden. Bei einem Abriss eines Gebäudes mit guter Bausubstanz wird die graue Energie verschwendet.

Ein Ausspielen von Beton mit anderen Materialien wie Holz wäre aber falsch. Dieser Meinung ist Guillaume Habert. Er ist Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Wenn Brettschichtholz, auch Leimholz genannt, verbaut wird, sei die Klimabilanz nicht so viel besser als Beton. «Es gibt keine guten oder schlechten Materialien, sondern das richtige Material am richtigen Ort», erklärt Habert.

Hinzu kommt, dass in Nordamerika und Europa verhältnismässig wenig Neubauten entstehen. Im Gegensatz dazu im globalen Süden, vor allem in Südostasien, Indien und Afrika, wo immer mehr ­Menschen bezahlbaren Wohnraum benötigen. Ersetzt man Beton nun einfach ­generell mit Holz, würde dies zu einer massiven Abholzung der Wälder führen.

Darum ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, damit die CO2-Emissionen bei Betonbauten möglichst reduziert werden. In diese Richtung wird viel geforscht, darunter beim Zement, der neben Kies, Sand und Wasser der entscheidende Bestandteil von Beton ist. Die ETH Lausanne hat einen «grünen» Zement namens LC3 entwickelt, die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt arbeitet ebenfalls an alternativem Zement.

Beim Sanieren gibts Widersprüche

«In der Schweiz sind nicht Neubauten das Hauptproblem, sondern die nötige energetische Sanierung bestehender Gebäude», sagt Habert. Für die Dämmung werde oft Expandierter Polystyrol-Hartschaum (EPS), auch als «Styropor» bekannt, verwendet. Für die Herstellung von EPS-Dämmstoffen wird Erdöl benötigt. «Wir stossen CO2 für die Herstellung von Dämmmaterialien aus – um dann damit den Energieverbrauch von Gebäuden zu reduzieren», bringt der ETH-Professor den Widerspruch auf den Punkt. Doch selbst EPS-Dämmstoffe seien nicht grundsätzlich schlecht.

Egal ob für Neubauten oder Renovationen, es ist eine Berücksichtigung verschiedener Materialien nötig. Etwa Beton und Zement, der mit weniger CO2-Ausstoss produziert werden kann, oder Holz. Auch Lehm wäre eine Möglichkeit, weil dieser bei der Verarbeitung nur einen Bruchteil der Energie anderer Materialien benötigt. Für die Dämmung eignet sich Stroh, Hanf oder Flachs. Gleichzeitig müssten die alten Heizungen ausgewechselt werden. «Wichtig ist, dass man diese Aspekte kombiniert», sagt ETH-Professor Habert.

Handlungsspielraum beschränkt

Doch in welchen Fällen setzt sich die Stadt Zürich für Sanierungen ein – und in welchen eher für Neubauten? «Es lässt sich keine allgemeingültige Antwort geben», sagt dazu Lukas Wigger, Mediensprecher des Präsidialdepartements. Es gibt Fälle, in denen durch einen Ersatzneubau deutlich mehr Wohnraum als vorher entstehen kann, allenfalls preisgünstige Wohnungen oder solche zur Kostenmiete gebaut werden. Idealerweise wird früh kommuniziert, die Mieterschaft erhält Ersatzangebote und wird auch durch ein «MieterInnen-Büro» oder eine ähnliche Institution unterstützt. «In Fällen, wo alle oder viele dieser Voraussetzungen gegeben sind, sind Ersatzneubauten oftmals sinnvoll», erklärt Wigger.

Die Stadt wirkt laut eigener Aussage bei privaten Bauträgerschaften sensibilisierend auf ein sozialverträgliches Vorgehen hin. Das Amt für Städtebau bietet ­zudem Beratungsgespräche für Bauherrschaften an. Das kann sich positiv auswirken. Doch wenn ein Gebäude nicht im Inventar der Denkmalpflege aufgeführt ist, hat die Stadt rechtlich keine Möglichkeit, einen Abbruch zu verhindern – ihr sind die Hände gebunden.

Es sei denn, es handelt sich ganz offensichtlich um ein «übersehenes» hochwertiges Schutzobjekt. In diesem Fall müsste der Stadtrat ein Veränderungsverbot mit anschliessender formeller Schutzabklärung verfügen. «Dies geschieht in der Stadt Zürich sehr selten, weil mit dem Denkmalinventar die überwiegende Zahl der schutzwürdigen Bauten in der Stadt bereits klar und transparent definiert sind», erklärt Wigger.

Ab und an entlässt die Stadt aber Gebäude aus dem Denkmalschutz, etwa das Haus zum Falken mit dem ehemaligen Café Mandarin direkt neben dem Bahnhof Stadelhofen. Dort soll ein Neubau des Stararchitekten Santiago Calatrava entstehen.

Manchmal funkt jedoch die Justiz dazwischen. So entschied das Bundesgericht zum Beispiel, dass die Gründersiedlung der Familienheim-Genossenschaft im Quartier Friesenberg nicht abgerissen werden darf. Damit wurde dort die bauliche Verdichtung eingeschränkt.

Stadt baut auch mit Lehm

Eine Vorbildfunktion fällt der Stadtverwaltung zu. Anfang 2000er-Jahre wurden die Gerätehäuser der Sportanlage Sihlhölzli unter anderem mit Stampflehm gebaut. Auch die Erweiterung des Schul­pavillons Allenmoos II in Unterstrass oder der Bettenhausneubau des Triemlispitals sind Beispiele für Bauten mit substanziellem Lehmanteil. «Die Stadt Zürich setzt bei ihren Bauten grundsätzlich ökologisch nachhaltige Baumaterialien ein», so Lucas Bally vom Hochbaudepartement. Sie spiele seit 20 Jahren eine Pionierrolle in der Nutzung von Recyclingbeton. «Damit sind ganz wesentliche Beiträge zum Schliessen von Stoffkreisläufen und zum Landschaftsschutz gelungen», sagt Bally. Der Kunsthauserweiterungsbau bestehe zu 98 Prozent aus Recyclingbeton.

Als Pionierprojekt gilt die Wohnsiedlung Kronenwiese oberhalb des Limmatplatzes. Sie besteht zwar auch aus viel ­Beton, dafür wird der Energiebedarf der Öko-Überbauung für Raumwärme, Warmwasser und Lüftung lokal und aus erneuerbarer Energie gewonnen. Dies geschieht in Form von 21 Erdsonden und einer Solaranlage. Für die Siedlung war kein Abriss nötig, da das Areal unbebaut war. Hier musste die Stadt weder zwischen Sanierung oder Neubau entscheiden noch Mietverträge kündigen.