Steine bringen die Zeit zum Sprechen

Erstellt von Elke Baumann |
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Die gewaltigen Steine regen die Fantasie der Besucherinnen und Besucher an: In seiner diesjährigen Herbstausstellung «Menschen in Stein gemeisselt» zeigt das Landesmuseum Zürich jungsteinzeitliche Stelen aus verschiedenen Ländern Europas, darunter auch aus der Schweiz.

Anfang der 1960er-Jahre finden Archäologen in Sitten an der Avenue du Petit-Chasseur mehrere Kollektivgräber (Dolmen) sowie Stelen (Menhire) und 2019 nochmals sechs behauene Säulen aus dem Endneolithikum – um 2500 vor Christus. Die grösste mit einem Gewicht von zwei Tonnen zeigt eine männliche Person mit einem Kleid in geometrischen Formen. Hinter dem Kopf erkennt man ein strahlenförmiges Muster, das die Sonne symbolisiert.

Stelen sind Meisterwerke der vorgeschichtlichen Kultur. Als Zeugnisse ihrer Zeit werden 40 herausragende Skulpturen aus Italien, Deutschland, Frankreich und zu guter Letzt der Schweiz, zum ersten Mal als Gruppen in einer grösseren Schau im Landesmuseum Zürich gezeigt.

Grösse ist erstaunlich
«Wann wurden Dolmen erbaut? Von wem? Warum?» Die Antworten darauf fallen höchst ungenau aus, denn es gibt keine schriftlichen Überlieferungen aus Europa jener Zeit. Daher kann man die Dolmen durchaus als geheimnisvolle Monumente bezeichnen.

Vor rund 6000 Jahren begingen Menschen, grosse bearbeitete Steine in der Landschaft aufzustellen. Sie zeigen Darstellungen von Menschen, oft nur erkennbar am Kopf, den Augen und Armen. Sie tragen Waffen, Schmuck oder Kleider, die die Leistungen einer ganzen Epoche aufzeigen. Erstaunlich ist die Grösse der Steine, die von halber bis zu doppelter Mannshöhe reichen. Die Illustrationen auf ihnen werden als Ahnenbilder gedeutet, welche die Macht eines Einzelnen oder einer Sippe demonstrieren.

Die gewaltigen Steine regen die Fantasie der Betrachterinnen und Betrachter an: «Was erzählen uns die Ahnenbilder auf den Stelen? Sind sie Vermittler zu den Göttern? Wie konnten so gewaltige Blöcke ohne Hilfe von übernatürlichen Kräften transportiert und aufgestellt werden? Von Riesen? Ausserirdischen oder Obelix, dem Lieferanten von Hinkelsteinen?» Die Antwort der Archäologen ist ganz einfach: «Mit grossen Rundhölzern, Seilen, Hebeln, zahlreichen Arbeitern, mit viel, viel Zeit und grossem Erfindergeist.»

Der spannungsreichen Parcours durch die Ausstellung beginnt mit einem Monolith aus Bevaix, Neuenburg. Der grob unbehauene Steinblock (6000 Jahre vor Christus), lässt bereits menschliche Formen erahnen. 1000 Jahre später sind es Menhire, die in Europa weit verbreitet sind. Der Unterschied zum Monolith ist unverkennbar. Bei den Menhiren sitzt bereits ein markanter Kopf direkt auf den breiten Schultern. Nasen, Augen, Augenbrauenbögen, manchmal auch Hände, Rippen und sogar Tätowierungen sind erkennbar. Besonderen Wert legt man auf Attribute: Gürtel, die den Ober- vom Unterkörper trennen, in den Stein gemeisselte Waffen, Werkzeuge, Schmuck und Trachtenelemente. Aus den steinernen Bildnissen lässt sich die Zeit ablesen, in deren der Mensch vermehrt Ackerbau und Viehzucht betreibt, in Dorfgemeinschaften lebt, die ersten Metalle nutzt und wie er sich die Welt erklärt.

In Europas Vergangenheit entführt
Expertinnen und Experten entdecken wesentlich mehr in den geheimnisvollen Gravierungen der Skulpturen und Felszeichnungen. Anhand von Details, Plänen, Grabungsdokumentationen und Fotografien kommen sie hinter die Geheimnisse, Konflikte und Bedeutungen zwischen den prähistorischen Skulpturen und der Welt der Lebenden und ­Toten. Ergänzt wird die Schau durch erlesene Originalfunde, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben.

Alles in allem ein brillant inszeniertes Raumerlebnis, das seine Besucherinnen und Besucher unterhaltend in Europas Vergangenheit entführt. Vertieft werden kann das Geschaute durch Touchscreen, Kopfhörer und gut lesbaren Texten.

Dauer der Ausstellung bis 16. Januar: www.landesmuseum.ch