Fünf Tage lag Charlotte Peter (94 Jahre) nach einem Unfall in ihrem Haus – mutterseelenallein –, bis endlich Hilfe kam.
Kürzlich berichtete diese Zeitung in einem Porträt über das Leben und Wirken von Charlotte Peter, 94-jährige Historikerin, Reiseleiterin, Journalistin und Autorin, die im Seefeld in einem stattlichen Haus aus dem 19. Jahrhundert ganz alleine lebt. Das Anwesen hatte bereits ihrem Grossvater gehört und wurde ihr weitervererbt. Seit 75 Jahren ist sie als Reiseleiterin in aller Welt tätig und hatte das grosse Glück, immer gesund und unverletzt heimzukommen. Es entbehrt also nicht einer gewissen Ironie, dass sie ausgerechnet in ihrem Zuhause am Mittwoch, 17. Oktober, verunglückte.
Ohnmächtig und ganz allein
An diesem schicksalsträchtigen Tag landete sie, mit dem TGV aus Paris kommend, um 17 Uhr im HB, fuhr direkt nach Hause, ass etwas Kleines, schaute kurz Nachrichten am TV und begab sich ins Schlafzimmer im Obergeschoss. Sie war bereits in Pyjama und Hausmantel und wollte sich hinlegen, als sie von einem starken Schwindel erfasst wurde, hinfiel und sich dabei einen Schulterbruch zuzog. Davon bekam sie jedoch nichts mehr mit, da sie das Bewusstsein verlor. Wie lange sie dort ohnmächtig lag, weiss sie nicht mehr. Sie war völlig orientierungslos und in einem Dämmerzustand. Erinnern kann sie sich jedoch, dass sie, wenn sie hin und wieder erwachte, völlig klar im Kopf war.
Letzte Kräfte mobilisiert
Die Schmerzen waren einigermassen erträglich; schlimm hingegen war, dass sie sich kaum rühren konnte, nicht aufrichten, geschweige denn aufstehen. Ihr fehlte einfach die Kraft. Telefon und Handy waren unerreichbar. Sie befand sich abwechselnd im Dämmer- und Wachzustand und war völlig bewegungsunfähig. Da realisierte sie, dass sie niemand erreichen konnte. Was für eine fatale Situation. Normalerweise telefonierte sie jeweils samstags um 9.30 Uhr mit ihrer um zwei Jahre jüngeren Schwester, die – als sie nichts von Charlotte hörte – annahm, sie hätte ihren Aufenthalt in Paris verlängert. Am dritten Tag gelang es ihr unter enormer Kraftanstrengung, endlich zur Treppe zu robben, sich langsam hinuntergleiten zu lassen und neben der Eingangstüre zu positionieren.
Was einem in einer solch schrecklichen Situation alles durch den Kopf geht, lässt sich nur erahnen. Ohne Essen kann der Mensch gut fünf Tage überleben, ohne Trinken jedoch nicht. Sie erinnerte sich, in einem Buch des schwedischen Entdeckungsreisenden und Abenteurer Sven Hedin, das von seinem Todesmarsch in der Wüste Taklamakan handelt, gelesen zu haben, dass er nur dank Trinken seines eigenen Urins überlebte. Das beherzigte sie und überlebte wahrscheinlich dank dieser verzweifelten Massnahme fünf Tage, ohne völlig zu dehydrieren.
Rettung nach fünf Tagen
Am darauffolgenden Montag hatte sie mit einer Freundin im Hotel Central abgemacht, und da sie immer sehr pünktlich ist, machte sich diese Sorgen und fuhr zum Haus im Seefeld. Nachdem sie vor der Haustür nach ihr gerufen hatte, konnte sich Peter von innen bemerkbar machen. Die Polizei brach schliesslich die Türe auf, und die Sanität fuhr sie ins Spital. Dort wurde ihre Schulter mit Platte und Schrauben geflickt. Inzwischen ist sie wieder wohlauf zuhause.
Nach ihren Gefühlen und Gedanken im Verlauf dieser Tage und Nächte gefragt, meinte sie, dank einem gewissen Fatalismus hätte sie weder Panik noch Angst verspürt. Und da sie auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken könne, sei sie mit sich im Reinen gewesen und hätte sogar eine innere Harmonie empfunden.
Konsequenzen gezogen
Gelernt habe sie daraus, dass sie nicht mehr länger allein in dem Haus leben könne. Sie werde sich eine betreute Wohnung suchen und ganz sicher das Angebot des Schweizerischen Roten Kreuzes, ein Notrufband mit Alarmknopf, in Anspruch nehmen. Sie wünsche sich ausserdem, dass sich alle älteren, alleinstehenden Menschen an ihrem Geschick ein Beispiel nähmen und sich auch ein Alarm-Armband vom Roten Kreuz besorgten. Diesmal sei sie ja noch mit einem blauen Auge davongekommen.