«Viele Leute haben uns zugeklatscht»

Erstellt von Lisa Maire |
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Im städtischen Pflegezentrum Entlisberg in Wollishofen geniessen Bewohnerinnen und Bewohner einen neuen Service der besonderen Art: Sie können sich von geschulten Freiwilligen mit der E-Velo-Rikscha durchs Quartier kutschieren lassen.  

Die Pilotin schwingt sich auf den Sattel, setzt den Elektroantrieb in Gang und tritt in die Pedale, der Fahrgast winkt breit lächelnd in die Runde, und schon kurvt die Velo-Rikscha über den Vorplatz des Pflegezentrums Entlisberg, um dann vorsichtig in die Paradiesstrasse bergaufwärts einzubiegen. Was interessierte Zaungäste da am Samstag beobachteten, war der Aufbruch zu einer Schnupperfahrt mit der Elektrovelo-Rikscha, die sich das Pflegezentrum gerade zugelegt hat. Rund 11 000 Franken kostete das Gefährt, das besonderen Ansprüchen an Sicherheit und Komfort genügen muss. Finanziert wurde es über einen von Legaten und Spenden gespeisten städtischen Fonds, wie Betriebsleiter Peter Schuler informiert.

Vom Recht auf Wind im Haar

Das Entlisberg ist zwar das erste städtische Pflegezentrum mit einer eigenen Rikscha. Die Idee selbst ist jedoch nicht neu: Unter der Ägide des Vereins «Radeln ohne Alter» profitieren Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeeinrichtungen in der Velostadt Kopenhagen schon seit acht Jahren von Rikscha-Ausfahrten. «Wir kämpfen für das Recht, auch im hohen Alter noch den Wind in den Haaren spüren zu können», umschrieben die Initianten ihre Motivation. Inzwischen ist die Begeisterungswelle, die das Kopenhagener Projekt auslöste, in andere Städte und Länder übergeschwappt. Der Schweizer Ableger von ­«Radeln ohne Alter» hat schon zahlreichen Alters- und Pflegeeinrichtungen geholfen, Rikscha-Dienste mit Freiwilligen, sogenannten Pilotinnen und Piloten, auf die Beine zu stellen. Auch in Zürich boomt die Idee. Neben dem Pflegezentrum Entlisberg bekommt zum Beispiel das Alterswohnheim Enge ebenfalls eine eigene Rikscha.

Eine Ausfahrt mit der Rikscha bietet Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine unkomplizierte Möglichkeit, aus der sozialen Isolation auszubrechen. Auf den relaxten Touren in die Umgebung, in der sie oft ein Leben lang gelebt haben, können sie vertraute Orte neu entdecken und sich gleichzeitig als Teil einer grösseren Gemeinschaft fühlen. «Viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner kamen pandemiebedingt nicht mehr weg aus Haus oder Garten – ein ganzes Jahr lang», betont Daniela Ott-Keller, Koordinatorin Freiwilligenarbeit im Entlisberg. Ein Ausflug mit der Rikscha sei deshalb auch ein Stück wiedergewonnene Lebensqualität. Und ein Erlebnis «für alle Sinne», fügt Ott-Keller an. Denn auf den 20- bis 40-minütigen Touren – ob ins Quartier zum Einkaufen, an den See oder in den Wald – gelte stets: «Der Weg ist das Ziel.» So darf die Rikscha auch mal stehenbleiben, sei es, um eine Glace zu schlecken, Schilf am Wegrand zu streicheln, einen Schwatz mit Passanten abzuhalten, Kindern beim Spielen zuzuschauen.

Gutes tun tut gut

Die Schnuppertouren lösten im Entlisberg jedenfalls viel positives Echo und Vorfreude auf ausgedehntere Fahrten aus. «Das war sehr schön, das will ich wieder machen», bilanziert zum Beispiel der 89-jährige Adolf Klöti. In der Rikscha oberhalb des Pflegezentrums unterwegs, lernte er eine Gegend kennen, wo er zuvor noch gar nie war. Eine weitere Entlisberg-Bewohnerin fühlte sich auf der Fahrt «wie eine Königin in der Sänfte», ein dritter Fahrgast erzählt freudig-bewegt: «Viele Leute am Strassenrand haben uns zugeklatscht.» Auch Pilotin Nadia Fanger lacht: «Es macht wirklich Spass!» Die Studentin, die sich schon länger in der Freiwilligenarbeit engagiert, bestätigt, dass von den Rikscha-Fahrten durchaus auch jene profitieren können, die auf dem Sattel sitzen. Das Phänomen ist bekannt: Zu spüren, dass man jemandem etwas Gutes tut, tut einem selbst eben auch gut.