Vom Airport ins Impfzentrum

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Im Impfzentrum Meilen kümmert sich Silvana Steurer aus Küsnacht um den reibungslosen Ablauf der Impfvorgänge. Am Flughafen kontrolliert sie Passagiere, im Contact Tracing kontaktiert sie infizierte Personen – und zu Hause ist sie noch Mama.

Daniel J. Schüz

Sie trägt eine blaue Uniform. Am Oberarm, gelb auf rot, der Aufdruck «Kantonspolizei». Im Impfzentrum Meilen nimmt sie die frisch geimpften Menschen in Empfang und führt sie zum grossen Zelt, wo die Impflinge für die nächste Viertelstunde unter besonderer Beobachtung stehen. Die Frau, die aussieht wie eine Polizistin, aber – das betont sie – keine ist, ist von einem Virus befallen, gegen das noch kein Impfstoff entwickelt worden ist. Die Krankheit, die es verursacht, ist heftig und unheilbar. «Und, ehrlich gesagt: Ich mag es! Ich will dieses Virus gar nicht loswerden!»

Das Virus, das das Reisefieber auslöst, hat sie infiziert, als sie mit der Polizei noch nichts zu tun hatte. Sie war ein kleines Mädchen, damals, als die Familie an schönen Sonntagen aus dem thurgauischen Bürglen nach Kloten fuhr – zum Shoppen und, vor allem, zum «Flugi luege»: Auf der Aussichtsterrasse, wo ihr die kerosingeschwängerte Luft der grossen weiten Welt um die Nase wehte, fühlte sie sich wohl. Als Steurer zur jungen Frau herangewachsen war, erfüllte sie sich den alten Traum: Sie stieg in einen dieser grossen Silbervögel und liess sich um die halbe Welt tragen: «Der Sprachaufenthalt in Australien», erinnert sie sich, «hat das Fieber zusätzlich geschürt: Der Flughafen und alles, was mit ihm zu tun hat, faszinierte mich immer mehr.»

Eine Freundin, die bei der Flughafenpolizei arbeitete, erzählte ihr über ihre Arbeit – und bald einmal stand für Silvana fest: Ich will am Flughafen für die Sicherheit mitverantwortlich sein. Das Bewerbungsverfahren war aufwendig, aber
am Ende hatte sie den Job: Die gelernte Detailhandelsangestellte im Fachbereich Papeterie war jetzt eine Sicherheitsbeauftragte bei der Kontrollabteilung der Kantonspolizei Zürich – konkreter: Zivilangestellte bei der Flughafenpolizei.

Die Ausbildung zur Polizeibeamtin kam für mich in der Vergangenheit nicht in Frage, da ich in einem 50-Prozent-Pensum beschäftigt bin, um Zeit für die Betreuung von meinem Sohn zu haben. Zudem bin ich jetzt mit 37 Jahren zu alt. Bei der Kantonspolizei Zürich kann man sich bis 34 Jahre bewerben. Vor allem aber will sie auch für die Familie Zeit haben, «deshalb lege ich Wert auf mein 50-Prozent-Pensum!»

Das Schönste an diesem Job, betont sie, sei der Arbeitsort Flughafen – was allerdings nicht ganz stimmt: Mindestens so attraktiv und sympathisch war der junge Kollege, der gelegentlich neben ihr stand, wenn sie den Bildschirm des Scanners überwachte, während er verdächtige Gepäckstücke und Passagiere unter die Lupe nahm. Längst steht er auch privat an ihrer Seite; gemeinsam leben sie auf dem Küsnachter Berg und ziehen ihren acht Jahre alten Sinn Finn auf, der «lieber Wissenschafter als Polizist werden will», lacht die junge Mutter.

Umverteilung der Arbeitsplätze

Vor Jahresfrist kam dieses andere Virus in die Welt und legte die grosse weite Airport-Welt weitgehend lahm. Schlagartig folgte auf das emsige Treiben eine beklemmende Leere. Touchdown in der Luft, Lockdown am Boden. Düster die Zukunftsaussichten. Es gab nicht mehr viel zu kontrollieren für die Kontrollabteilung der Flughafenpolizei. Dafür umso mehr an der epidemiologischen Front: Das Virus hatte nicht nur begonnen, in der ganzen Welt Angst und Schrecken zu verbreiteten; es setzte auch, vor allem bei Angestellten des Kantons, eine breite Umverteilung der Arbeitsplätze in Gang. Auch Silvana Steurer musste sich von heute auf morgen neu orientieren: Statt nach Waffen, gefährlichen Gegenständen oder verbotenen Flüssigkeiten sucht sie jetzt nach Spuren des tödlichen Winzlings. Zusammen mit rund 400 weiteren Mitarbeitenden im Contact-Tracing-Team, setzte sie sich in einem Grossraumbüro am Flughafen ans Telefon.

Herkulesaufgabe Contact Tracing

Es war ein Wettlauf gegen die Zeit: Bevor eine infizierte Person das Virus weiterverbreiten konnte, mussten alle Menschen, die mit ihr in Kontakt gestanden hatten, kontaktiert und allenfalls in Quarantäne gesetzt werden – eine Herkulesaufgabe, die neben dem Job als Sicherheitsbeauftragte am Flughafen immer wichtiger wurde.

Bis vor Monatsfrist die elf Impfzentren in den Bezirken des Kantons ihre Türen öffneten. Vom ersten Tag an wurde Silvana jetzt auch in Meilen eingesetzt. Auftrag: Den reibungslosen Ablauf gewährleisten und besonders den Strom der Impflinge lenken. Zum Anfang hat das Zentrum wegen der beschränkten Verfügbarkeit der Impfstoffe nur in reduziertem Mass betrieben werden können, der Andrang hielt sich in Grenzen.

«Aber das», wusste Silvana, «kann sich rasch ändern.» Und irgendwann, so hofft sie, «wird auch dieser Spuk zu Ende sein. Dann werden wir uns endlich wieder einmal in einem guten Restaurant verwöhnen lassen. Und vielleicht liegt ja auch wieder eine Reise drin – mit dem Flugzeug. Irgendwohin, wo die Sonne scheint und kein Virus droht.»