Vom Lebewesen zum Lebensmittel

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Der Küsnachter Tierschutz-Pionier Nils Müller und seine Frau Claudia Wanger legen mit «Zum Sterben schön» eine literarische Liebeserklärung vor.

Zwei Hosenbeine flattern wie eine Fahne über dem Dach eines Bauern­hauses auf dem Küsnachter Berg: «Zur chalte Hose» heisst der Hof, «Zum Sterben schön» ist der ebenso provozierende wie irritierende Titel eines Buches, das kürzlich erschienen und einer geheimnisvollen «Anna Lena» gewidmet ist. Dieser Name wird nur einmal erwähnt – auf der ersten von 288 Seiten.

Wortreich und bildgewaltig erzählen Claudia Wanger und Nils Müller die Geschichte dieses bemerkenswerten Ortes; im kulinarischen Teil schildert das Bauernpaar ausführlich die faszinierende Metamorphose vom Lebewesen zum Lebensmittel.

Innert zehn Jahren hat das Bauernpaar ein heruntergewirtschaftetes ­Gehöft aufwendig renoviert und zum Leuchtturm-Projekt erhoben. Der lizenzierte Jäger Müller geriet bald schon in die Schlagzeilen, als er mit einer Ausnahmebewilligung seine Rinder auf der Weide erschoss. Weil er den Tieren den Stress ersparen wollte, den sie beim Transport zum Schlachthof erleiden, tötete er sie selbst – auf der Weide, wo sie geboren wurden, aufgewachsen sind und sich bis zum letzten Atemzug wohlfühlten. Nach einem ­langen, zähen Gang durch die bürokratischen Instanzen wurde die Weideschlachtung im Sommer 2020 gesetzlich legitimiert – und Müller endgültig zum Pionier einer menschlichen und tiergerechten Viehwirtschaft.

Das Buch, in violettes Leinen gebunden, fällt ins Auge und ins Gewicht – zunächst einmal allein schon wegen seiner schieren Grösse: Auf dem Nachttisch oder im Regal findet es kaum Platz. Und es passt auch in keine der gängigen literarischen Kategorien; es ist weder Biografie noch Kochbuch, weder epische Belletristik noch nüchternes Sachbuch. Von all dem hat es etwas – und ist doch sehr viel mehr: «Zum Sterben schön» ist die literarische Liebeserklärung von zwei Menschen an das Leben, das mit dem Tod nicht endet. Es ist ein offenes Bekenntnis zur Freude am Genuss. Und es ist eine respektvolle Verbeugung vor der Natur.

«Eine Frage noch ...»

«Wie bitte?»

«Wer ist Anna Lena?»

«Moment – ich verstehe grad nicht ...»

Babygeschrei in der Telefonleitung.

«Alles klar – danke!»

 

«Zum Sterben schön», 288 Seiten, 88 Franken. Edition «Zur chalte Hose». Buchbestellung: www.zurchaltehose.ch. Das Buch ist im Webshop erhältlich.