Wem gehört der Friedhof Sihlfeld?

Erstellt von Lisa Maire |
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Alkohol, Sex, Drogen: Der Friedhof Sihlfeld steht seit einiger Zeit immer wieder wegen Nutzungskonflikten in der Diskussion. Nun kam das emotionale Thema auch an einem Podium mit Stadtpräsidentin Corine Mauch zur Sprache.

Beim Quartierverein Wiedikon und in den Medien häuften sich in jüngster Zeit Meldungen über schlimme Zustände auf dem Friedhof Sihlfeld und der angrenzenden Aemtleranlage. Besonders seit dem Corona-bedingt erhöhten Nutzungsdruck auf alle städtischen Grünräume reissen Klagen über ungebührliches Verhalten in dem rund um die Uhr geöffneten Friedhofpark nicht mehr ab.
Die einen empören sich über Champagnerflaschen, Bierdosen oder auch Kondome auf und zwischen den Gräbern.

Die anderen stören sich an Familienpicknicks, Lärm von feiernden Gruppen, halbnackt Sonnenbadenden, Velofahrern, ­Joggerinnen, Hunden. Auch Vandalismus und nicht zuletzt gewisse Nachtveranstaltungen des Friedhof-Forums stehen unter Beschuss.

«Stadt ist nicht untätig»

«Lässt die Stadt den Friedhof zum 24-Stunden-Eventpark verkommen?», lautete denn auch die Ausgangsfrage zu einem Podium auf Initiative des Quartiervereins Wiedikon. Unter der Leitung von NZZ-­Redaktor Daniel Fritzsche diskutierten – per Livestream verfolgbar – Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), Altbundesrichterin Brigitte Pfiffner (Grüne) sowie die Autorin und bekannte Stadtführerin ­Barbara Hutzl-Ronge.

Als oberste Chefin des Bestattungs- und Friedhofamts musste sich Mauch dabei viel Ärger und Kritik anhören. Wie würde die Stadtpräsidentin reagieren, wenn eines Morgens die Blumen auf dem Grab ihrer Eltern zertrampelt wären, lautete die erste Livechat-Frage eines Grab­besuchers, der diese Erfahrung gemacht hat. «Ich verstehe den Ärger», sagte Mauch. Das sei natürlich absolut respektlos. Andererseits habe sie von Friedhofsgärtnern gehört, dass dahinter auch Tiere wie Füchse oder Krähen stecken könnten.
«Wenn Bierdosen rumliegen, war es jedenfalls nicht der Fuchs», stellte Barbara Hutzl-Ronge trocken fest. Ihr scheint einfach klar, dass viele Friedhofsbesucher, vor allem auch ältere, irritiert sind, wenn sie zwischen den Gräbern auf Feiernde oder deren Hinterlassenschaften treffen.

Das städtische Friedhofreglement besagt: «Friedhöfe sind Stätten der Ruhe und der Besinnung. Besuchende haben sich entsprechend zu verhalten.» Die Stadt tue aber nicht genug, um das Reglement durchzusetzen, lautet die Kritik. «Wir sind absolut nicht untätig», wehrte sich Mauch vehement und verwies auf ein sechswöchiges Securitas-Monitoring vom letzten Sommer. Aufgrund der darin festgehaltenen Beobachtungen habe man verschiedene Massnahmen eingeleitet. Es gebe mehr Kontrollen durch SIP und Stadtpolizei – mitsamt Wegweisungen und Arealverboten – und im Zusammenhang mit «Cruising» (anonymem Sex zwischen Männern) seien nun zwei der WC-Anlagen nachts geschlossen.

Zudem sollen Neupflanzungen für eine visuelle Trennung zwischen Grabfeldern und Parkflächen sorgen, und das Friedhofspersonal werde besser geschult im Umgang mit Leuten, die sich nicht ­adäquat benehmen.

«Schilder aufstellen reicht nicht»

Hat sich die Situation gebessert? Nein, finden Hutzl-Ronge und Pfiffner. Die Hinweise bei den Eingängen, die für ein ­respektvolles Verhalten sensibilisieren sollen, seien viel zu wenig klar. Manche reagierten weiterhin uneinsichtig und aggressiv, wenn sie von Friedhofspersonal auf Regelverstösse angesprochen würden. Oder lägen trotzdem im hohen Gras, das man in Teilbereichen nahe von Gräbern extra wachsen liess, um so das Reinliegen zu verhindern. Die Verbots­tafeln für Velos, Jogging, Hunde würden nach wie vor zu oft ignoriert. Zudem seien sie zum Teil widersprüchlich. «Es reicht nicht, nur Tafeln aufzustellen», so Pfiffner. «Man muss die Regeln auch durchsetzen!» Sie zweifle aber, ob bei Mauch der politische Wille dazu vorhanden sei.
Die Stadt wolle die Friedhofregeln sehr wohl durchsetzen, betonte die Stadtpräsidentin. Es gebe ja bereits Wegweisungen und Arealverbote, zudem kläre man zurzeit die rechtliche Möglichkeit von Bussen ab. Mauch gestand aber ein, dass die Signaletik verbessert werden müsse. Es habe sich gezeigt: Leute, die ermahnt werden, sind sich oft gar nicht bewusst, dass sie etwas Falsches gemacht haben.

Was auf einem Friedhof erlaubt ist und was nicht, müsse deshalb schon klar kommuniziert sein. «Wir beobachten die Entwicklung genau», so Mauch. Die grosse Mehrheit der Erholungssuchenden verhalte sich korrekt. Sollten sich die Regelverstösse wieder häufen, könne es auch neue Massnahmen geben. Für sie steht fest: Die grüne Friedhofoase soll weiterhin «in einem pietätvollen Rahmen» von allen genutzt werden können. Auch nachts. Eine Nachtschliessung, wie sie von mehreren Seiten gefordert wird (siehe auch Kasten), sei eine unverhältnismässige Einschränkung. Was denn ein Beispiel für eine pietätvolle nächtliche Nutzung wäre, fragte prompt ein virtueller Podiumsgast. «Etwa ein Spaziergang, um einfach Ruhe zu finden», sagte Mauch. Auch einen Grabbesuch könne sie sich vorstellen.

«Es gibt einfach Grenzen»

Auch wenn sich der Zeitgeist geändert habe: «Der Friedhof ist sicher kein Ort, um sich einen Kick zu holen», wandte Pfiffner ein. Es gebe einfach Grenzen – auch rechtlich gesehen. Die Stadt habe nämlich eine verfassungsmässige Pflicht, für die Wahrung der Friedhofsruhe zu sorgen, so die Juristin. Der Feststellung eines Chat-Teilnehmers, Familienpicknicks auf dem Friedhof seien doch auch etwas Schönes, gab Pfiffner zu bedenken: «Aus der Sicht von Familien sicher, aus der Sicht von Trauernden weniger.»
Freizeitnutzungen auf dem Friedhof seien nicht per se etwas Schlimmes, betonen Pfiffner und Hutzl-Ronge. Dabei müsse aber der Respekt vor Ruhe und Besinnung suchenden Menschen künftig besser eingehalten werden. Und für Mauch ist klar: «Wir müssen einen Weg für ein verträgliches Nebeneinander der unterschiedlichen Ansprüche finden.» Es gebe aber keine einfache Lösung.

 

FDP Kreis 3 und Heimatschutz
fordern nächtliche Schliessung des Friedhofs


Unzufrieden mit den Antworten des Zürcher Stadtrats auf eine schriftliche Anfrage zu störenden Freizeitaktivitäten auf dem Friedhof Sihlfeld und der Aemtleranlage doppelte die FDP Kreis 3 im letzten November mit einer von 300 Personen unterzeichneten Petition nach. In der Petition werden eine nächtliche Schliessung des Friedhofs, konsequente Wegweisungen und Arealverbote sowie griffige Massnahmen gegen Littering gefordert. In einer Me­dienmitteilung beanstandeten jüngst auch der Stadtzürcher Heimatschutz SZH und der Zürcher Heimatschutz ZVH eine «Zweckentfremdung des kantonal denkmalgeschützten Friedhofs». Mit einem Hinweis auf den bundesrechtlichen Grundrechtsschutz von Toten und deren Angehörigen sowie auf die strafrechtlich geschützte Totenruhe fordern auch sie eine Nachtschliessung, zudem denkmalpflegerisch vertretbare Nutzungsentflechtungen von Grabfeldern und Grünanlage sowie die Durchsetzung von Verboten. (mai.)