«Wer Normalität will, lässt sich impfen»

Erstellt von Thomas Hoffmann, Pascal Turin |
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Seit heute Mittwoch können sich im Kanton Zürich auch die 50-Jährigen impfen lassen. Zudem gleist Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) ein kantonales Abwassermonitoring auf. Und sie befürwortet im Interview, dass Geimpfte, Genesene und Getestete ihre Freiheiten zurückerhalten.

Natalie Rickli, Sie wurden in letzter Zeit in den Medien oft kritisiert. Wie gehen Sie damit um? 

Natalie Rickli: Mit einem gewissen Mass an Kritik muss man als Politikerin um­gehen können. Aber ich möchte nicht ver­leugnen, dass die momentan sehr hohe Kadenz an Kritik nicht spurlos an mir vorbeigeht. Dabei geht es nicht nur um mich persönlich, sondern auch um meine Mitarbeitenden auf der Gesundheitsdirektion oder dem Personal in den Impfzen­tren. Diese Menschen leisten täglich einen gewaltigen Effort. Aber wir sind in einer Jahrhundertkrise. Diese gilt es jetzt einfach zu bewältigen.

Gemäss Abwassermessungen der ETH in der Stadt Zürich gibt es viele neue Infek­tionen, mehr als die Fallzahlen zeigen. Läuten da bei Ihnen die Alarmglocken?

Die Fallzahlen stellen keine hundertprozentige Aussage dar, da diese vom Testverhalten der Bevölkerung abhängig ist. Die Abwassermessungen sind daher eine sinnvolle Ergänzung zum Testen, womit wir ein noch aussagekräftigeres Lagebild erhalten. Die kommenden Tage werden zeigen, wie sich die Lage entwickelt und ob der Anstieg in den Abwasserdaten bestehen bleibt. Das Kantonale Labor der Gesundheitsdirektion arbeitet zusammen mit dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs (Eawag) daran, ein Abwassermonitoring einzuführen.

Plant der Kanton dieses Abwasser­monitoring unabhängig vom Bund?

Wir sind im engen Austausch mit dem Bundesamt für Gesundheit. Das Abwassermonitoring ist ja auch auf Bundesebene Thema. Wir haben mit unseren Fachleuten im Kantonalen Labor ein eigenes Projekt aufgegleist.

Der Bund setzt neben den Schutzmassnahmen und dem Impfen insbesondere auf das Testen. Wie sieht die Testsituation im Kanton Zürich aus?

Testen und impfen sind wichtig, um die Fallzahlen zu senken. Gelingt uns dies, bin ich überzeugt, dass wir im Sommer wieder einen Grossteil unserer gewohnten Freiheiten zurückgewinnen. Zusammen mit dem Bund haben wir die Testmöglichkeiten ausgebaut. Der Kanton Zürich hat als einer der ersten Kantone das repetitive Testen für Betriebe, Institutionen und Schulen in Form des Spucktests eingeführt.

Stösst das auf ein breites Echo?

Zur Abwicklung steht den teilnehmenden Betrieben die Plattform «Together we test» zur Verfügung. Bereits haben sich rund 140 Schulen und 1600 Unternehmen für das repetitive Testen angemeldet. Auch kann die Bevölkerung wöchentlich einen kostenlosen PCR-Test machen. Und monatlich gibt es in den Apotheken fünf Selbsttests – diese können ebenfalls gratis bezogen werden.

Zürich bildet bei den Impfungen das Schlusslicht. Wieso sind wir so langsam?

Wichtig ist, dass wir die Dimensionen ­sehen: Zürich hat rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Bis Montagabend hat der Kanton Zürich bereits 364 470 Dosen verimpft. Die Impfkam­pagne ist in Zürich als grösster Kanton ­logistisch mit 400 Heimen, den dezentralen 11 Impfzentren, sowie 150 Apotheken und 900 selbstständigen Ärzten äusserst komplex. Da es im ersten Quartal immer wieder zu Lieferkürzungen und Lieferverzögerungen kam, haben wir bis vor kurzem für jede Erstimpfung die zweite Impfdose konsequent zurückgestellt. Das bremst. Zudem haben wir für das Impfen der älteren und kranken Personen stark auf die Hausärzte gesetzt. Über diesen Impfkanal dauert es etwas länger, bis der Impfstoff verimpft ist, dafür sind die Hochrisikopatienten sehr gut betreut.

Nun soll es zügiger vorwärtsgehen. Was haben Sie geändert?

Wir verlassen uns auf die Zusagen des Bundes und der Lieferanten, dass pünktlich und in der versprochenen Menge geliefert wird. Aber der grösste Unterschied ist, dass jetzt mehr Impfstoff kommen soll.

Ab wann können sich die 50- bis 64-Jährigen impfen lassen – und wann gibt es Impftermine für Leute unter 50?

Für die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen wurde die Terminbuchung am Mittwoch dieser Woche freigeschaltet. Die übrige Bevölkerung kommt ab Mitte Mai zum Zug. Da wir momentan leider noch zu wenig Impfstoff erhalten, haben wir für den Monat Mai noch nicht genügend Termine für alle, die sich impfen lassen möchten. Das ändert sich – so hat man uns versprochen – im Juni.

Die Lehrerverbände wünschen, dass Lehrpersonen rascher Impftermine erhalten.

Ab Mitte Mai erhalten alle Zugang zu den Impfungen, daher priorisieren wir die Lehrerinnen und Lehrer nicht früher. Ich verstehe die grosse Herausforderung in den Schulen, aber es gibt dort gute Schutzkonzepte.

Bei den Liefermengen für den Impfstoff gibt es ein ständiges Hin und Her. Nun ­fehlen für den Mai bis zu 500 000 Dosen von Moderna. Wie geht der Kanton damit um?

Wir geben nur so viele Termine frei, wie wir Impfstoff haben. Die Impfkampagne wird daher leider etwas gebremst. Solche Verzögerungen sind sehr ärgerlich. Aber es zeigt auch, dass unsere Strategie richtig ist, nur so viele Termine freizuschalten, wie uns entsprechend Impfstoff ­bestätigt wurde. Ansonsten müssten wir bei Verzögerungen Zehntausende Impftermine absagen. Dies würde verständ­licherweise zu noch grösserem Ärger bei der Bevölkerung führen.

Kann ich den Impfstoff überhaupt ­wählen und wie mache ich das?

Nein, das kann man nicht. Derzeit gibt es zwei Impfstoffe, die beide sehr gut sind.

Der Bundesrat hat ein Drei-Phasen-­Modell vorgestellt. Unterstützen Sie es, dass Geimpfte, Genesene und Getestete Privilegien erhalten? Beispielsweise für ein Open­-Air-Konzert?

Eigentlich sind das keine Privilegien. Man erhält die Freiheitsrechte zurück, die man vorher gehabt hat. Die Stossrichtung dieses Modells ist gut. Wichtig ist dabei, dass es nicht nur um Geimpfte geht. Auch Leute, die von einer Covid-Erkrankung ­genesen sind, erhalten diese Freiheiten zurück, und Personen, die einen negativen Test vorweisen können. Letztlich darf ein privater Veranstalter die Bedingungen für seine Veranstaltungen festlegen.

Wie geht die Gesundheitsdirektion mit Impfverweigerern um?

Wer will, dass möglichst rasch wieder Normalität herrscht, sollte sich impfen lassen. In einer Sensibilisierungskam­pagne werden wir zudem darlegen, weshalb es wichtig ist, dass sich möglichst alle impfen lassen. Es geht ja nicht nur um einen selbst, sondern auch um das Umfeld, also um die Familie, Freunde und Arbeitskolleginnen.

Wann wollen Sie mit dieser kantonalen Sensibilisierungskampagne starten?

Etwa Mitte Mai. Sinnvoll ist sie erst, wenn genügend Impfstoff vorhanden ist. Damit wollen wir speziell Leute erreichen, die sich bisher noch nicht zum Impfen registriert haben.

Eine Sonderkommission des Kantonsrats hat soeben kritisiert, dass der Regierungsrat Sie, die Gesundheitsdirektorin, nicht in den Corona-Ausschuss genommen hat. Ist das im Nachhinein ein ­kleines Trostpflaster für Sie?

Wir werden die Empfehlungen der Sonderkommission prüfen. Sie decken sich weitgehend mit der eigenen Untersuchung des Regierungsrates. Es ist wichtig die Lehren aus der Pandemie zu ziehen und dort, wo nötig, Verbesserungen anzustreben.

Welche Lehren nehmen Sie bisher mit aus der Pandemie?

Wir sollten trotz Krise die Ruhe bewahren und nach jeweils aktuellem Wissensstand die bestmöglichen Entscheide treffen. Ganz wichtig erscheint mir: Nur gemeinsam schaffen wir es, diese Krise zu meistern.

Es heisst, Sie arbeiten bis zu 16 Stunden am Tag. Wie halten Sie das auf Dauer durch?

Aus persönlicher Erfahrung weiss ich, wie wichtig es ist, auch einmal abschalten zu können und Energie zu tanken. Ebenfalls ist Bewegung und Sport wichtig für die Balance. Dass der Job als Regierungsrätin viel von mir erfordert, war mir bereits bewusst, als ich mich entschieden habe, für dieses Amt zu kandidieren. Dass nach zehn Monaten im Amt gerade eine Pandemie kommt, hätte ich natürlich nicht erwartet. Ich geniesse die freien Stunden daher umso intensiver, um Energie zu tanken für die nächsten Herausforderungen.

Fitnesscenter, Restaurantterrassen und Kinos sind wieder offen: Nutzen Sie diese Möglichkeiten?

Die Gelegenheit wieder im Aussenbereich der Restaurants essen zu können, habe ich bereits genutzt. Mein Fitnesscenter ist innovativ und bietet die Kurse weiterhin auch online an, sodass ich meine Yoga- und Pilatesstunde bis auf weiteres digital wahrnehme. Trotz der wiedererlangten Freiheiten möchte ich darauf hinweisen, dass wir uns weiterhin an die Hygiene- und Abstandsregeln halten sollen. Die Pandemie ist noch nicht vorbei.