Beim Gesundheitszentrum für das Alter (GZA) Limmat an der Haltestelle Quellenstrasse steht seit 35 Jahren eine riesengrosse Skulptur. Ruedi Rohr ging der Entstehungsgeschichte nach und unternimmt dabei ein Abstecher zu Stadträtin Emilie Lieberherr.
«Du Papi, isch das än Dinosaurier?», hörte ich eines Tages ein etwa vierjähriges Kind seinen Vater fragen, als die beiden vor der weissen Marmorfigur standen. Als Bewohner des GZA Limmat bin ich Hunderte von Malen an der Skulptur vorbeigegangen … Zurück im Heim, beschloss ich, die Herkunft dieses Monstrums zu erkunden.
Bei der Stiftung Alterswohnungen wusste man von nichts, jedoch erhielt ich einen Hinweis aufs Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Dort bekam ich von der Fachstelle Kunst und Bau Auskunft. Das Sihl-Ghüür ist registriert unter der Inventarnummer 33935.
Die Alterswohnungen und das Alterszentrum Limmat wurden während der Amtszeit von Stadträtin Emilie Lieberherr (SP) Anfang der 1980er-Jahre erbaut.
Kurzer Abstecher zu Stadträtin Lieberherr: Ende der 60er-Jahre fiel Lieberherr erstmals politisch auf, als sie sich für das Frauenstimmrecht engagierte. Sie wurde 1970 als erste Frau zur Stadträtin von Zürich gewählt. Sie war mitbestimmend in der Neuausrichtung der schweizerischen Drogenpolitik.
Unter ihrer Leitung wurden in Zürich 22 Altersheime erbaut! Sie gründete auch die Stiftung «Wohnfürsorge für Betagte», richtete Jugendtreffpunkte in den Quartieren ein. Emilie Lieberherr gab ihren Rücktritt 1994 bekannt – sie hatte in den 24 Jahren als Stadträtin enorm viel geschaffen, vor allem für Jugendliche und die alten Menschen in der Stadt. Als Emilie Lieberherr 2011 mit 87 Jahren starb, war die Trauer in der ganzen Schweiz gross – war sie doch zum Vorbild unzähliger Schweizer Frauen geworden. Im Jahre 2020 wurde an der Langstrasse ein Platz auf ihren Namen getauft (ehemals im Volksmund «Denner-Platz»).
Zusatzname Ivika aus Estland
Bei den Bauarbeiten des GZA Limmat und der Alterswohnungen lag es auf der Hand, etwas für die Kunst zu tun. Von mehreren Bewerbern erhielt Bildhauer Peter Meister aus Zürich den Auftrag. Aus einem gigantischen weissen Marmorblock (Carrara-Marmor) erschuf er das «Sihl-Ghüür Ivika» mit einem riesigen Schwanz. Allein schon der Name ist erstaunlich: Sihl-Ghüür ist breites Züritütsch, der Zusatzname Ivika stammt aus Estland und ist der Vorname Peter Meisters Tochter. Sogar das «Thuner Tagblatt» berichtete über die Einweihung auf seiner Seite «Kultur» am 12. Juni 1986 darüber. Bei der Arbeit des Bildhauers Meister handelt es sich auch nicht um eine klassische Skulptur, sondern um eine installative Arbeit, weil über den ganzen Platz verstreut immer wieder einzelne Teile des Ungeheuer-Schwanzes aus dem Boden herausragen.
Das Sihl-Ghüür ist erstaunliche 100 Meter lang. Die eigentliche Skulptur misst lediglich 4,5 Meter, die restlichen 95,5 Meter bilden den Schwanz. Der Schwanz liegt grossteils versteckt im Untergrund – ab und zu drängt er an die Oberfläche, markiert durch einen weissen Marmorblock. Damit ist das Sihl-Ghüür die längste Skulptur Zürichs. Um den unter dem Boden verstecken Schwanz abgehen kann, sind im Asphaltbelag weisse Pfeile eingelassen, das ergibt dann die restlichen hundert Meter. Und vor dem Eingang zum Alterszentrum kommt der 2,5 Meter hohe Schwanz ans Tageslicht. Ganz schön verwickelt!
Das war die Geschichte vom Sihl-Ghüür wie es heute genannt wird. Nur wenige Menschen im Kreis 5 kennen den Namen. Warum Meister den Namen seiner Tochter angehängt hat, bleibt ein Rätsel, ich kann den Bildhauer Peter Meister nicht mehr fragen, er ist 1999 mit 65 Jahren gestorben.