Wie es Zürcher Frauen vor 500 Jahren erging

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Was passierte früher mit den Kaplänen und ihren Konkubinen? Dieser und anderen Fragen ging kürzlich der Frauenstadtrundgang in Zürich nach.

Einmal mehr begleitete «Zürich 2» eine Fussreise des Frauenstadtrundgangs. Diesmal zeigten die beiden Historikerinnen Dorothee Rempfer und Fabienne Dubs auf dem Spaziergang durchs Oberdorf geschichtsträchtige Orte, in denen bekannte Zürcher Persönlichkeiten des 16.  Jahrhunderts – in erster Linie Frauen – gewirkt und gelebt hatten. Sie schilderten, welchen Einfluss diese Frauen auf die Umbruchszeit der Reformation vor 500 Jahren ausübten.

Während fast zweier Stunden lernten die Teilnehmenden das Oberdorf von damals und ihre Bewohnerinnen und Bewohner kennen. Dorothee Rempfer und Fabienne Dubs erzählten abwechselnd anhand von Kupferstichen und Illustrationen aus der Zeit deren Geschichte und untermalten sie mit passenden zürcherisch-alemannischen Zitaten. Diese übersetzten sie jeweils ins verständlichere Schweizerdeutsch.

«Hecht» bot komfortable Latrinen
Gestartet wurde am Limmatufer, wo im damaligen Zürich die Schiffe landeten. Händler, Pilger und andere Reisende reisten damals im wöchentlichen Nachtschiff von Rapperswil nach Zürich, wo sie frühmorgens ankamen. Fürs Frühstück – Morgenspeise – hatten sie die Wahl zwischen dem «Pilgerschiff», dem «Hecht» und dem «Raben». Zum Übernachten sollte aber dem «Hecht» den Vorzug gegeben werden, da der offenbar über recht komfortable Latrinen verfügte. Rempfer zeigte auf dem Bild den hölzernen Anbau mit den bequemen Mehrplätzern, wo alles recht geruchsarm direkt ins Wasser fiel. Ende 18. Jahrhundert wurden die Wirtshäuser Raben und Hecht zusammengelegt, und das einstige Doppelgebäude heisst heute «Zum Raben».

Vor der Reformation ging man am nächsten Morgen zum Gebet in die Wasserkirche. 1525 wurde jedoch der gesamte Heiligenkult durch die Reformatoren verboten und die Wasserkirche nur noch als Warenlager für Krämer und Händler benutzt.

Der erste Halt gegenüber der Wasserkirche war am «Haus zur Sonne». Hier wurde Regula Rollenbutz 1545 geboren und gehörte als Sprössling eines Tuchhändlers zur Zürcher Oberschicht. Mit 17 Jahren heiratete sie Salomon Hirzel, der ebenfalls zur Tuchhändler-Dynastie gehörte. Schwiegervater Hirzel war im Ferntuchhandel tätig und daher geschäftlich oft unterwegs. Seine Gattin vertrat ihn während der Abwesenheit geschäftlich und vergnügte sich mit einem Knecht in der ehelichen Schlafkammer. Schwiegervater Hirzel ertappte die beiden in flagranti und tat, was ein Ehemann tun musste. Er erstach die beiden Ehebrecher. Er wurde jedoch vom Rat freigesprochen, «weil er nur getan, was in dieserem Fall ein jeder ehrlicher Mann täte». Der Ehemann der Rollenbutz sollte Bürgermeister werden, doch schlug er das Amt aus, da er «wegen synes sehr schweren Lybs einen ruwigen Stand suochte». Salomon Rollenbutz junior nahm später die Wahl an.
Der zweite Halt machte die Gruppe an der Oberdorfstrasse, wo die Äbtissin Katharina von Zimmern im «Haus zum Bracken» als Weltliche lebte. 1525 hatte die letzte Äbtissin der einst mächtigen Fraumünsterabtei freiwillig auf ihre Macht verzichtet. Das architektonisch prächtige Haus ist heute leider in einem desolaten Zustand.

Die Hauptaufgabe der Äbtissin bestand in der Verwaltung der Abtei und der umfangreichen Ländereien. Während der Reformation stand die Fraumünsterabtei im Mittelpunkt des Geschehens. So predigte nicht nur Zwingli, sondern auch seine Gegner im Fraumünster. Katharina von Zimmern setzte sich ebenso mit den neuen Ideen auseinander. Sie wollte die Stadt vor Unruhen bewahren und damit bürgerkriegsähnliche Zustände vermeiden, deshalb hatte sie ihr Amt aufgegeben. Nachdem sie dies getan hatte, wurde ihr von der Stadt das Bürgerrecht verliehen. Mit 47 Jahren heiratete sie Eberhard von Reischach, einen Anhänger Zwinglis.

Freiwillig in Armut leben
Weiter gings zur Trittligasse 34, zum «Hus zum Lemblin». In diesem Haus lebte im Spätmittelalter eine Beginengemeinde. Im 13. Jahrhundert war eine Begine eine «willig arme Frau». Damit war gemeint, dass diese Frauen freiwillig in Armut lebten und ein klosterähnliches, keusches Leben führten. Der Unterschied zu den Klosterfrauen war, dass die Beginen einzeln oder in Gemeinschaft in verschiedenen Häusern in der Stadt lebten und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkamen, als Krankenpflegerinnen oder in der Tuchherstellung. Im 14. Jahrhundert änderte sich das Beginentum. Es wurden immer mehr Beginen, die nicht mehr freiwillig, sondern unfreiwillig arm waren. Der Rat übernahm zu jener Zeit die Verantwortung für die «willig armen Häusern» von den Klöstern. Es wurden alle Frauen aufgenommen, doch sie mussten ehrbar sein. Diese Häuser boten den armen Frauen Schutz und erfüllten eine sozialfürsorgerische Aufgabe. Im Lauf der Reformation wurden diese Häuser jedoch aufgelöst.

Nun wurde Halt an einer Zwischenstation gemacht, am Brunnen des Neustadtplätzchens. Im 15. Jahrhundert waren Anwohnerinnen und Anwohner für den öffentlichen Brunnen zuständig. Als der «Klausenbrunnen» erneuert wurde, mussten alle Quartierbewohner «eine gebührende Sum Gelts» bezahlen. Da dieser die einzige Trinkwasserquelle für Mensch und Tier war, war es wichtig, ihn sauber zu halten. Deshalb verbot der Rat bei Busse, dass Wäsche oder Geschirr gewaschen, Gemüse geputzt oder Wasser abgelassen wurde. Verbal schmutzige Wäsche waschen war hingegen nicht verboten.

Der nächste Halt war an der Neustadtgasse 2 am Haus «Sonnegg». Hier lebte im 15. Jahrhundert Johannes Huber, Kaplan des Grossmünsters, gemeinsam mit seiner Magd. Die beiden hatten zusammen mehrere Kinder. Somit war die Magd mehr als seine Haushälterin, sie war seine Konkubine. Natürlich galt für Kapläne ganz klar das Zölibat. Das war nicht immer so, noch bis ins Hochmittelalter war die Priesterehe verbreitet. Im 12. Jahrhundert änderte sich das, da wurde das Zölibat beschlossen. Doch der Konkubinarier Johannes Huber war kein Einzelfall. Das heisst aber nicht, dass die Konkubinen gesellschaftlich akzeptiert waren. In den Rats- und Richtebüchern wurden diese Frauen als «verdächtige Wiber», «liederliche Junkfrowen» oder «Pfaffenhuoren» bezeichnet. Eine öffentliche Diskussion über das Klerikerkonkubinat wurde erst während der Reformation geführt, als die Reformatoren die Priesterehe durchsetzen wollten.
Da die Häuser in den Gassen des Oberdorfs alle sehr mittelalterlich waren, wurden oft An-, Auf- und Umbauten vorgenommen. Natürlich brauchte es auch damals schon eine Bewilligung vom Rat. Oft waren die Nachbarn mit den Veränderungen nicht einverstanden. Sie reklamierten, dass ihnen die Aufbauten die Sonne wegnahmen. An der Schlossergasse 5 wollte der Schuhmacher Konrad Schmid sein Haus aufstocken. Er bekam zwar die Erlaubnis, musste aber ein durchgehendes «Tagloch» anbringen, damit die Nachbarin Blattmann weiter einen Blick auf die Kirchenuhr des St. Peter werfen konnte. Es gab damals weder Taschen- noch Standuhren.

Zwingli und die verbotene Liebe
Der nächste Standort war das Haus «zur Sul» an der Neustadtgasse 11. Hier hatte Huldrych Zwingli von 1523 bis 1525 seine Amtswohnung. Von diesem Ort aus verfolgte er wichtige Ziele: die Abschaffung von Kruzifixen, der Orgelspiele und Lieder, von Altären und Reliquien, von Skulpturen der Heiligen, von Weihrauch und Bildern. Nichts sollte mehr von Gottes Wort ablenken. Über Zwingli wurde viel gesprochen und geschrieben. Doch von seiner Ehefrau Anna Reinhart ist nicht viel bekannt. Reinhart wurde 1484 als Tochter der Wirtsleute vom Gasthaus zum Rössli an der Schifflände geboren. Sie heiratete den adligen Junker Hans Meyer von Knonau. Da Anna von niedrigerem Stand war als Hans, war sein Vater gegen die Verbindung und enterbte ihn. Sie hatten zusammen drei Kinder. Hans starb 1517 an den Spätfolgen einer Knieverletzung als Söldner. Die Familie Meyer von Knonau nahm Anna zwar auf, doch erhielt sie keine finanzielle Unterstützung. Zum Kummer über den Verlust kam auch noch die materielle Not.

Zweimal zur Witwe geworden
Anfang 1519 zog im Haus nebenan ein Priester namens Huldrych Zwingli ein. So lernten sich Anna und Huldrych kennen und heirateten 1522 heimlich, da für Zwingli als katholischen Priester vor der Reformation die Heirat verboten war. Zwei Jahre später wurde mit der Reformation das Zölibat abgeschafft, und Anna Reinhart und Zwingli heirateten offiziell in der Kapelle des Grossmünsters. Anna musste nun als Pfarrfrau immer mehr Aufgaben bewältigen. Sie unterstützte ihren Mann im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich und kümmerte sich um Kranke und Arme. Sie hatten vier gemeinsame Kinder: Regula, Wilhelm, Huldreich und Anna. Das Letzte starb allerdings wenige Wochen nach der Geburt.
Die Reformation wurde an Ostern 1525 definitiv eingeführt. Die unterschiedlichen Glaubensauffassungen führten jedoch zum Krieg mit der Innerschweiz. Im zweiten Kappeler Krieg 1531, der eine komplette Niederlage war, starb Zwingli. Auch Annas Sohn Gerold aus erster Ehe kam in diesem Krieg um. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns zog Anna mit ihren Kindern zur Familie von Heinrich Bullinger, dem Nachfolger von Zwingli, und wurde dadurch als Witwe vor wirtschaftlicher Not bewahrt. Bei den Bullingers blieb Anna Reinhart bis zu ihrem Tod im Jahr 1538.

Bullingers liebloser Antrag
Die letzte Station beim Rundgang war der Zwingliplatz 4: In diesem Haus, dem Pfarrhaus des Grossmünsters, lebten ab 1531 Heinrich Bullinger und seine Frau Anna. Anna Adlischwyler war bereits als junge Frau ins Kloster Oetenbach eingetreten. 1527 schickte Heinrich Bullinger der jungen Nonne einen 62-seitigen Brief – kein Liebesbrief. Bullinger erklärte darin, warum er Anna heiraten wolle: Sie sei ihm besonders ehrbar und lieb wegen ihrer guten Erziehung und Bescheidenheit. Zuerst nahm Anna den Antrag an, zog aber bald ihr Versprechen mit der Begründung zurück, sie wolle kein Ärgernis erregen, indem sie aus dem Kloster austrete und gegen den Willen ihrer Mutter handle. Bullinger zog vor Gericht und verklagte Anna wegen Bruch des Eheversprechens. Das Gericht urteilte schliesslich, dass das gemachte Eheversprechen für Anna verbindlich sei. Man wollte sie zwar nicht zwingen, aus dem Kloster auszutreten und zu heiraten. Aber sollte sie je das Kloster verlassen, durfte sie nur Bullinger heiraten. Die beiden heirateten nach dem Tod von Annas Mutter 1529. Sie gebar elf Kinder und führte im Pfarrhaus den Haushalt. Anna starb 1564 an der Pest.

Auch dieses Mal hat sich gezeigt, dass die Frauenstadtrundgänge nicht nur äusserst lehrreich, sondern auch eine grossartige Gelegenheit sind, um unbekannte Winkel und Gassen zu entdecken. (Jeannette Gerber)