«Wiedikon ist ein politisch verträgliches Quartier»

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Im Rahmen einer Beitragsreihe zum 100-Jahre-Jubiläum des Quartiervereins Wiedikon hat sich «Zürich West» mit dem früheren LdU-Stadtrat und langjährigen Quartierbewohner Hans Frick getroffen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ein Ur-Wiediker ist Hans Frick nicht. Er sei in Wipkingen aufgewachsen, mit der Heirat 1954 nach Unterstrass gezogen, bevor dann der Wechsel nach Wiedikon kam. Das ist aber auch schon wieder 36 Jahre her. Warum Wiedikon? «Eher ein Zufall», erinnert sich der 87-Jährige. «Wir wohnten in Unterstrass an einer lärmigen Durchfahrtsstrasse, suchten einfach etwas Ruhigeres und fanden dann diese Wohnung hier an der Burstwiesenstrasse – damals ein Neubau.»

Wegen der Ruhe nach Wiedikon

Die gewonnene Ruhe am neuen Wohnort war das eine, der Verlust von nachbarschaftlichen Kontakten das andere. In Unterstrass hatte die Familie fast 30 Jahre lang in einer Genossenschaftssiedlung gewohnt. Frick: «Wir hatten viele sehr gute Beziehungen zu Nachbarn.» Es habe im Alltag nur Vorteile, wenn sich die Nachbarn alle kennen, meint er. Im neuen Wiediker Mehrfamilienhaus jedoch wurden freundnachbarschaftliche Kontakte rarer. Frick kennt den Grund hierfür: «Hier herrschte von Anfang eine grössere Mieterfluktuation.» Er sei unterdessen derjenige, der am längsten im Haus wohne. Trotzdem: Mit den Jahren entstanden neue Bekanntschaften und Freundschaften im Quartier. Bis heute pflegt Frick, seit 13 Jahren Witwer, auch Kontakte mit Wiedikerinnen und Wiedikern, die er noch aus seiner Zeit als LdU-Politiker und Stadtrat (1970–1990) kennt.
Die ruhigere Wohnumgebung in Wiedikon war noch aus einem anderen Grund willkommen. Frick amtete damals als Polizeivorsteher. Der Umzug fiel in die Zeit der Jugendunruhen, die mit den Opernhaus-Krawallen 1980 ihren Anfang genommen hatten. Für den obersten Stadtzürcher Polizisten bedeutete dies «ein, zwei aussergewöhnlich herausfordernde Jahre». Er war an den Polizeiaktionen stets präsent, kam regelmässig nicht vor zwei Uhr morgens erschöpft nach Hause. Nie vergessen hat er zudem ein schockierendes Erlebnis – noch in der Wohnung in Unterstrass: Eines Nachts, als das Ehepaar Frick schlief, kam plötzlich ein Pflasterstein wuchtig durchs Fenster gekracht. «Der Stein landete ganz knapp neben dem Kopf meiner Frau!», erzählt Frick. Noch immer steht ihm der Schreck darüber ins Gesicht geschrieben.

Quartierverein statt Partei

Nachdem Frick sich als 60-Jähriger aus dem Stadtrat zurückgezogen hatte («Ich fand: 20 Jahre Polizeivorsteher sind genug!»), wurde er bald Mitglied im Quartierverein Wiedikon. Die Geschicke des Quartiers lagen ihm am Herzen. Es heisse ja, wer seinen Anliegen Gehör verschaffen wolle, solle in eine Partei eintreten. «Sehr viele wollen aber nicht in eine Partei, um ihr Lebensumfeld mitgestalten zu können: Sie gehen lieber in den Quartierverein.» Früher seien diese noch bürgerlich geprägt gewesen. Heute seien darin alle politischen Farben vertreten. «Und das ist gut so!», betont Frick, der früher als LdU-Vertreter in der Mitte zwischen Linken und Bürgerlichen politisierte. Je mehr verschiedene Gesinnungen in den Quartiervereinen zum Zug kämen, desto besser vertreten sei die breite Quartierbevölkerung, erklärt er.

Hat die Stimme von Quartiervertretern deshalb heute auch mehr Gewicht im Stadtrat? Werden die Vereine vom Stadtrat ernster genommen? Frick verneint entschieden. Die Quartiervereine seien dem Stadtrat schon zu seinen Zeiten sehr wichtig gewesen, betont er und fügt an: «Stadtpolitiker sollten – schon im eigenen Interesse – die Quartiervereine bei umstrittenen Themen stets beiziehen, eine Beziehung zur Bevölkerung herstellen, bei Problemen präsent sein.»

Frick glaubt auch nicht, dass die Quartiervereine heute gegenüber der Politik grundsätzlich selbstbewusster, aggressiver auftreten. «Das kommt auf das Quartier und das Thema drauf an», meint er. Themen wie Verkehrsberuhigung, Tempo 30, Velowege, würden wohl schon aggressiver vertreten. Bei solchen Anliegen gebe es halt oft auch zwei Fronten: «Die Anwohner wollen weniger Verkehr, das Gewerbe pocht auf freie Durchfahrt ohne Umwege.» Auch im Quartierverein Wiedikon habe er solch kontroverse Meinungen erlebt. Etwa bei den Diskussionen rund um die Verkehrsberuhigung der Haldenstrasse.

Politisch verträgliches Quartier

Wiedikon, so Frick, sei jedoch grundsätzlich ein politisch verträgliches Quartier ohne grosse Auseinandersetzungen. Er ist überzeugt, dass die Zunft Wiedikon dabei eine bestimmte Rolle spielt: «140 Zünfter haben einen beruhigenden Einfluss.» Manche von ihnen seien auch im Quartierverein dabei, engagierten sich bei Anlässen, die im Quartier geschätzt würden.

So interessiert Frick am Geschehen im Quartier war und ist: In den Vorstand des Quartiervereins wollte er nie. Denn sein Amt als Präsident der Kirchgemeinde im Gut, das er ebenfalls ab den 90er-Jahren zwölf Jahre lang wahrnahm, hielt ihn genug auf Trab. «Wir waren eine Sorgengemeinde», sagt Frick, der in unmittelbarer Nähe der Thomaskirche wohnt. Zu schaffen gab damals schon der Mitgliederschwund in der reformierten Landeskirche. Die Kirchenbänke wurden leerer und es gab immer weniger Menschen im Quartier, die bereit waren, sich in der Kirchgemeinde zu engagieren. Frick: «Als ich anfing, waren wir zwölf Kirchenpfleger, heute sind es noch sechs.» Er selbst sei zwar früher auch nur gelegentlich in die Kirche gegangen. Und als er angefragt wurde, ob er das Amt des Kirchgemeindepräsidenten übernehmen wolle, brauchte er Bedenkzeit.
Dass er schliesslich zusagte, hat einen ganz besonderen Grund: «Meine Frau hatte damals eine schwere OP, die gut verlief. Der Chirurg sagte aber danach zu mir, der Zustand meiner Frau sei so ernst gewesen, er habe die Operation nur dank der Hilfe von oben geschafft.» Die Rettung seiner Frau, die Worte des Chirurgen haben Frick dazu bewogen, das Kirchenamt anzunehmen. Er hat es nie bereut. «Wir hatten in meinen Kirchenpfleger-Jahren in der Thomaskirche viele sehr schöne Anlässe – etwa das Thomasfest oder den Basar, der in der ganzen Stadt bekannt war.»

Üetliberg, Heuried – und die Waid

An Wiedikon schätzt Frick neben der Ruhe auch die schöne Lage des Quartiers, «eingebettet zwischen Üetliberg und Limmat». Er fühle sich hier sehr wohl, betont er. Wunde Punkte, Probleme im Quartier wollen ihm partout keine einfallen. «Ich bin von Natur aus ein zufriedener Mensch», lautet seine Begründung. Umso mehr schätzt er die Highlights in der Umgebung: zum Beispiel den Üetliberg, wo er früher oft anzutreffen war. Ebenso toll fand er das Schlittschuhlaufen in der Sportanlage Heuried – «ein Wiediker Juwel», so schwärmt er. Auch die Stadtgärtnerei war häufiges Ziel seiner Ausflüge im Quartier.

Inzwischen wollen allerdings die Beine des Seniors nicht mehr so recht. Sein Bewegungsradius sei kleiner geworden, erzählt er. Aber an guten Tagen, da macht sich der Wiediker öfter mal auf den Weg in seine alte Wipkinger Heimat – zur Waid. Die 300 Meter zu Fuss vom Bus zum Endziel schaffe er «an guten Tagen» problemlos. Auf die Waid hinauf zieht Frick allerdings nicht nur die einmalige Stadtsicht, sondern vor allem das Restaurant. «‹Die Waid› ist bis heute meine Stammbeiz», lacht er. (Text und Foto: Lisa Maire)