«Wir müssen aus dieser Pandemie lernen»

Erstellt von Dani J. Schüz |
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Der Küsnachter Professor Robert Steffen spielt im neuen Impfzentrum Meilen als ärztlicher Leiter eine Schlüsselrolle. Der Pionier der Reisemedizin über das Leiden am Virus und die Lust am Reisen.

Robert Steffen, vor einer Woche haben Sie das Impfzentrum für den Bezirk Meilen in Betrieb genommen. Wie sieht Ihre erste
Bilanz aus?

Erstaunlich gut. Alle Abläufe funktionieren reibungslos – vom Anmelden und Befragen der Impflinge über das Vorbereiten der ­Injektionsspritzen und die eigentliche Impfung bis zur Überwachung und Entlassung gehen die Schritte planmässig ineinander über.

Ohne jeden Zwischenfall?

(Greift in ein Regal und fasst ein Stück Holz an) Bis jetzt sind wir glücklicherweise verschont geblieben. Es kann schon vorkommen, dass es jemandem mal schwindlig wird. Aber das hat in der Regel nichts mit der Impfung zu tun – und geht schnell vorüber.

Es fällt auf, dass alle Mitarbeitenden im Zentrum – vom Sicherheitsbeamten bis zum Professor – einander duzen.

Das ist mir ein grosses Anliegen: Wir begegnen einander alle auf Augenhöhe. Das trägt zur guten Stimmung im Team bei und ist ebenso wichtig wie die strikte Einhaltung der Schutzmassnahmen.

Angesichts der angespannten Stimmung im Land und der epidemiologischen Lage müsste die Devise lauten: Impfen, impfen und nochmal impfen – so viel und so rasch wie irgend möglich. Aber von acht Impfstrassen sind nur zwei in Betrieb, der Start des Impfzentrums verläuft verhalten.

Am liebsten würde auch ich rund um die Uhr arbeiten. Aber vorerst können wir nur die Dosen verimpfen, die uns vom Kanton zugeteilt und die fast täglich angeliefert werden. Bis anhin (Anm. d. Red.: Stand 13. April) haben wir in vier Tagen 800 Dosen verimpfen können. Wir gehen davon aus, dass die vereinbarten Lieferungen bis Ende April eintreffen und wir — sobald wir auch Zweitimpfungen durchführen — alle acht Impfstrassen in Betrieb nehmen können.

Wie impfwillig sind die Menschen im
Bezirk Meilen?

Alle Termine bis Ende April sind ausgebucht und fast alle der 10 933 berechtigten und impfwilligen Personen über 75 Jahre und auch jene mit schweren Vorerkrankungen haben einen Termin oder sind bereits bei uns oder beim Hausarzt geimpft worden. Von der übrigen Bevölkerung stehen einige noch auf der Warteliste. Besonders erfreulich ist die Zuverlässigkeit der Menschen: Von den ersten sechshundert, die sich angemeldet haben, sind lediglich drei nicht erschienen – ein halbes Prozent. Wir mussten schon befürchten, dass unser Vorrat an Impfstoff nicht ausreicht, weil der Kanton mit einer Ausfallquote von fünf Prozent kalkuliert und entsprechend knapp liefert.

Alle anderen fallen wohl in die Kategorie der Impfverweigerer. Haben Sie Verständnis für deren Skepsis?

Man muss sie ernst nehmen und versuchen, ihre Motive zu ergründen. So ist es möglich, sie mit rationalen Argumenten vom Nutzen einer Impfung zu überzeugen und dazu zu bewegen, sich impfen zu ­lassen.

In Rekordzeit wurden verschiedene Impfstoffe gegen Covid-19 auf den Markt geworfen. Kann man da wirklich sicher sein, dass diese Vakzine ausreichend getestet worden und entsprechend ungefährlich sind?

Da habe ich überhaupt keine Bedenken. Ich kenne die beiden Impfstoffe, die mit der neuen mRNA-Technologie entwickelt worden und in der Schweiz zugelassen sind, sehr gut und setze mich laufend über die neuesten Forschungsresultate zu allfälligen Nebenwirkungen in Kenntnis. Diese werden täglich aktualisiert – und sie werden immer besser.

Weiss man denn mittlerweile, inwieweit eine geimpfte Person nicht nur vor einer Erkrankung geschützt ist, sondern auch deren Umfeld vor einer Übertragung bewahrt?

Jüngste Resultate legen nahe, dass nach ­einer Impfung höchstens ein Drittel der ­Viruslast weitergegeben wird, wobei eine grosse Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Viren durch die Immunabwehr bereits so geschwächt sind, dass sie weniger Schaden anrichten.

Das Ziel jeder Impfkampagne ist ja die ­Erreichung der sogenannten Herden­immunität: Wenn zwei Drittel der Bevölkerung entweder durch eine Impfung und weitere durch eine überstandene Infektion immunisiert sind, ist die ganze Gruppe geschützt. Nun aber soll das ausgerechnet bei den neuen aggressiven Corona-­Mutationen nicht mehr funktionieren.

In der Theorie geht diese Rechnung auf: Wenn ein gewisser Prozentsatz – je nach Infektion 60 bis 95 Prozent – immunisiert ist, kann sich das Virus nicht mehr weiterverbreiten. Damit wäre der Idealzustand erreicht und die Epidemie besiegt. Nun gibt es aber verschiedene Studien und mathematische Modelle, die zu unterschiedlichen Resultaten führen. Je nachdem, ob man von sechzig oder siebzig Prozent Geimpften ausgeht, ist unklar, ob die Gefahr besteht, dass eine geimpfte Person das Virus noch an Nicht-Immune streuen kann.

Wie zuversichtlich schauen Sie in die Zukunft?

Es ist unwahrscheinlich, dass dieses neue Virus aus der Welt geschafft werden kann. Wir müssen künftig mit Covid-19 leben, so wie wir bis anhin gelernt haben, mit der Grippe zu leben, vor der wir uns mit einer Impfung schützen können. Es werden Medikamente gegen das Coronavirus entwickelt werden, die der Krankheit ihren tödlichen Schrecken nehmen. Dann bekommen wir wenigstens teilweise die alte Normalität zurück und werden hoffentlich etwas gelernt haben.

Zum Beispiel?

Ich hoffe, dass wir mit derselben Effizienz, die wir bei der Entwicklung neuer Impfstoffe gegen das Corona-Virus an den Tag gelegt haben, auch Wege zu einer nachhaltigen und umweltschonenden Mobilität finden. Denn als Reisemediziner habe ich die Schönheit ferner Länder besonders ­vermisst.

Wo ist es denn am schönsten?

In Namibia. Mich zieht es, sobald das hier überstanden ist, zurück nach Afrika.

  Daniel J. Schüz