«Organspende fördern – Leben retten» heisst die Volksinitiative, die das Thema Organspende in den Fokus rückt. Der Bund hat einen Gegenvorschlag präsentiert. Die neue Veranstaltungsreihe «Forum Franziskus» in Wollishofen bot drei Gästen Raum zur Diskussion.
«Die Annahme, dass es mit der erweiterten Widerspruchslösung zu einer automatischen Organentnahme kommt, ist völlig falsch», sagt Renato Lenherr mit Nachdruck und räumt mit den Missverständnissen auf, die rund um das Thema «erweiterte Widerspruchslösung » schon geäussert wurden. Schien es vor Beginn der Veranstaltung im Zentrum St. Franziskus in Wollishofen noch so, als ob im Saal wesentlich mehr leere, als besetzte Stühle stehen, änderte sich das Bild kurz vor der Begrüssung. Auffällig ist dabei der hohe Altersdurchschnitt der Interessierten.
«Angehörige werden entlastet»
Nach der Vernehmlassung vom letzten Herbst hat der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» präsentiert. Diese Initiative verlangt die Einführung einer «engen Widerspruchslösung». Jede Person, die sich zu Lebzeiten nicht gegen eine Organspende ausgesprochen hat und das nicht im dafür vorgesehenen Register festgehalten hat, wird automatisch zum Spender. Die Angehörigen werden dabei ausser Acht gelassen. In seinem Gegenvorschlag will der Bundesrat das Transplantationsgesetz dahingehend ändern, dass künftig die «erweiterte Widerspruchslösung» gilt. Dabei wird ebenfalls jede Person zu Lebzeiten verpflichtet, ihren Willen gegen eine Spende zu äussern. Liegt keine Erklärung vor, können – wie bis anhin mit der Zustimmung der Angehörigen – die Organe gespendet werden.
«Wir wollen nicht um jeden Preis ein Organ. Optimal ist es, wenn wir den Willen des Verstorbenen kennen. Ist das nicht der Fall, werden wie bisher Gespräche mit den Angehörigen geführt», so Lenherr weiter. Umfragen bezüglich Spendenbereitschaft würden zeigen, dass 80 Prozent der Befragten grundsätzlich für eine Spende seien. Die Ungewissheit der Angehörigen würde aber oft ein Nein nach sich ziehen. Die derzeitige Medienpräsenz wirkt sich laut Lenherr positiv auf die Zahl der Zustimmungen aus: «Sobald die Diskussion nicht mehr aktuell ist, wird der Effekt leider wieder abflachen. » Seiner Meinung nach würde die «erweiterte Widerspruchslösung» besonders für die Familie eine Entlastung bringen, da eine Spende dann als Normalfall gelten würde. «Der Wille der Familie und des Patienten steht aber nach wie vor an erster Stelle.»
Gegenwind erhält er sowohl von seiner linken Seite mit Theologe Roland Graf wie auch von seiner rechten mit Andrea Büchler von der Ethikkommission. Büchler vertritt im Namen der Kommission den Standpunkt des «Erklärungsmodells». Das Konzept sieht vor, dass jeder Mensch vom Bund regelmässig dazu aufgefordert wird, seinen Willen bezüglich Organspende zu äussern. «Die ‹Erklärungslösung› würde die Angehörigen ganz von der Last der Entscheidung befreien und würde das Selbstbestimmungsrecht wahren», erklärt Büchler.
Beim «klassischen» Hirntod schlägt das Herz weiter
«Es ist nicht klar, wann der definitive Hirntod eintritt», bringt Graf ein Thema auf den Tisch, das ihn noch mehr zu bewegen scheint als die Frage nach der «Widerspruchslösung». Die Frage stellt sich für den Theologen speziell beim primären Hirntod. Dabei schlägt das Herz – im Gegensatz zum sekundären Hirntod durch Herz-Kreislauf-Stillstand – weiter. «Wird durch Anschwellen des Gehirns die Blutzufuhr unterbrochen, stirbt das Hirn ab. Das Herz schlägt dabei jedoch weiter. Das wird als ‹klassischer› Hirntod bezeichnet, obwohl es viel seltener vorkommt als der Hirntod durch Herz-Kreislauf- Versagen», erklärt Lenherr. Für Angehörige sei der Tod durch Herz- Kreislauf-Versagen einfacher zu verstehen, da das Herz dabei nicht mehr schlage.
Eine Organspende darf nur in Betracht gezogen werden, wenn der Patient im medizinischen Umfeld infolge direkter oder indirekter Hirnschädigung verstirbt. «Gerade mal einer von hundert kommt für eine Organspende in Frage», so Lenherr. Daher sei es umso wichtiger zu wissen, was der Patient entschieden hat. «Auch ich war lange gegen eine Widerspruchslösung, doch unsere Erfahrung durch Kampagnen zeigt einfach, dass wir nicht an die Menschen herankommen. Natürlich hätte ich gerne von jedem Patienten eine schriftliche Zustimmung, doch ich halte die Umsetzung eines ‹Erklärungsmodells› für unmöglich», zeigt sich der Oberarzt etwas resigniert. «Es braucht einen Versuch», erwidert Büchler.
Zum Schluss spannt Bleisch mit Verweis auf das Buch «Leben» von David Wagner, in dem es um den lebertransplantierten Autoren selbst geht, den Bogen zu den Organempfängern: «Wagner beschreibt die widersprüchlichen Gefühle, die ihn während seiner Zeit auf der Warteliste begleiteten. Einerseits die Hoffnung und andererseits das Wissen um den Tod eines anderen Menschen. Wie erleben Sie die Situation der Empfänger?» Lenherr sagt dazu: «Ich denke, die meisten können mit dieser Situation gut umgehen. Ihnen ist klar, dass die Person nicht ihretwegen gestorben ist. Oft entwickelt sich eine starke Verbundenheit zum Spender und er wird ein fester Bestandteil ihres Lebens.» Die Möglichkeit, einen anonymen Brief an die Angehörigen des Spenders zu schreiben, nutzen viele Patienten: «Diese Briefe sind für die Familien der Verstorbenen sehr wertvoll», schliesst Lenherr.
Die Teilnehmer
Barbara Bleisch, bekannt aus «Sternstunde Philosophie» beim Schweizer Fernsehen, empfing die Diskussionsteilnehmer Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission, Renato Lenherr, Oberarzt am Institut für Intensivmedizin des Universitätsspitals Zürich und Ärztlicher Leiter Donor Care Association – Organspende interkantonal, sowie Roland Graf, Moraltheologe und Mitglied der Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz.