Die Gegend in und um Zürich gilt wegen ihrer Hügel nicht gerade als velofreundlich. Hier sind die Steigungen deutlich steiler als beim Hobbyradrennen namens Alpenbrevet. Ein Erfahrungsbericht zweier höchst unterschiedlich agierender Redaktoren.
Der Termin des Alpenbrevets, ein Hobbyvelorennen im Gotthardmassiv, ist bei zwei Redaktoren dieser Zeitung jeweils dick angestrichen. Regelmässigen Leserinnen und Lesern kommt das bekannt vor. Schon zweimal fuhren die beiden mit und liessen die Leserschaft mit mehr oder weniger originellen Texten daran teilnehmen. 2019, in einer Zeit, als Corona höchstens als Biermarke bekannt war, fuhr Redaktor Thomas Hoffmann die «Gold-Strecke» mit den Pässen Susten, Grimsel, Nufenen und Gotthard. Derweil nahm Kollege Lorenz Steinmann in Gletsch die Abzweigung nach links und befuhr die definitiv leichtere Strecke über den Furka ins Ziel nach Andermatt.
Dieses Jahr, am 4. September, ist alles anders: eine neue Strecke über Furka, Nufenen und Gotthard («Silber-Strecke»), das Covid-Zertifikat als Startbedingung und die kurzfristige Absage von Lorenz Steinmann wegen Formschwäche. So startet Thomas Hoffmann um 6.45 Uhr alleine, immerhin vor Ort mental unterstützt von Bürokollege Steinmann.
Das Wetter ist diesmal perfekt. Hoffmann nimmt im Pulk der 2998 Konkurrentinnen und Konkurrenten mit dem Furka einen nicht unbedingt steilen ersten Pass in Angriff. «Definitiv weniger steil als mancher Stutz in Zürich», behauptet Steinmann recht altklug. Er verweist dabei etwa auf die Nordrampe vom Albisriederdörfli zur Waldegg, wo die Strasse bis 18 Prozent steil ist. Da ist das Alpenbrevet definitiv flacher. Der Nufenenpass ist einmal – und auch nur 20 Meter – 14 Prozent steil, wie das Radsportlexikon «quäldich.ch» weiss. Der Furkapass, berühmt von der James-Bond-Verfolgungsjagd in «Goldfinger», hat auf der Westseite lediglich einen Miniteil mit 12 Prozent Steigung. Machbar, verglichen mit der Gsteigstrasse in Höngg, einer stotzigen Verbindung mit gefühlt 19 Prozent Steigung. Auch der Gotthard, das Schlussbouquet der Alpenbrevetstrecke von Thomas Hoffmann, scheint nicht sonderlich steil. Wohl extra für die Postkutschen beträgt die Durchschnittssteigung 7 Prozent. Da sei ja die Rosengartenstrasse mit 8 Prozent steiler, wirft Steinmann leicht nervtötend ein.
Theorie und Praxis
Im Sattel und mit Velokilometern in den Beinen, nimmt Hoffmann die Anstiege allerdings anders wahr. Beim Furka kommt ein Profifahrer-Gefühl auf, da die Strasse während der ersten eineinhalb Stunden für den motorisierten Verkehr gesperrt ist. Das geniessen zuerst die «Gümmeler», dann die Töffs und Ausflügler, die nicht von Velos behindert werden. Am Nufenen entsteht der Eindruck, hier sei es steiler als bei der Trainingsfahrt mit Kollege Steinmann, bei der es über die Buchenegg und den Albispass via Schindellegi Richtung Pfäffikon SZ ging. Aber so steil kann es am Nufenen nicht gewesen sein: Eine Gruppe auf Rollski (!) überholt den Redaktor. Am Gotthard ist die Welt dann wieder in Ordnung: Eine Postkutsche dient als Ausrede für einen Fotostopp. Und ein überhitzter Velofahrer mit leerem Getränkebidon ist dankbar, dass er Hoffmanns Flasche leeren darf. Die gute Tat des Tages ist vollbracht, nun spielt es keine Rolle mehr, wie flach oder steil die letzten der 3000 Höhenmeter sind. 3000 Meter hinauf, das ist 15-mal vom Zürichsee zum Zoo pedalt. Da ist für einmal sogar der Steinmann still, während er Hoffmann am Ziel das Handtuch reicht.