Wo man C. G. Jung wiederentdecken kann

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Wer dem Geist des berühmten Psychiaters C. G. Jung nachspüren will, muss seine frühere Wohn- und Wirkungsstätte in Küsnacht besuchen. Die Stiftung C. G. Jung Küsnacht und sein Enkel Andreas Jung haben sie vor einem Jahr als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Es ist der Treppenturm zum Unbewussten. Von aussen wehrhaft wirkend, innen grossbürgerlich, führt er vom Entree des stattlichen Giebelhauses an der Seestrasse 228 in Küsnacht hinauf in den ersten Stock. Wer bei Carl Gustav Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie, einen Termin hatte, musste die Stufen des Turms erklimmen.

Was mögen die Klienten gedacht haben, während sie im Wartezimmer unter den Augen von Voltaires Büste harrten, bis er sie in Empfang nahm und ins danebenliegende Studierzimmer führte? Vielleicht: «Bescheiden ist er ja nicht, der Herr Professor Jung.» Der Seelenforscher hatte die Pläne selbst gezeichnet, nachdem er und seine Frau Emma Jung-Rauschenbach, dank ihres Vaters Vermögens, den Baumgarten mit Seeanstoss des einstigen Armen- und Waisenhauses der Gemeinde erworben hatten. Es flossen dabei viele Motive aus Jungs Imaginationen ein, so eben jener Turm.

Mehr als 1500 Besucher

Im April letzten Jahres hat die 2002 gegründete Stiftung C. G. Jung Küsnacht, die das Haus mit dem Ziel übernahm, den Wohnsitz von Emma und C. G. Jung-Rauschenbach für die Nachwelt zu bewahren, als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Seither hat es sich zu einem Anziehungspunkt nicht nur der Anhänger seiner Lehre entwickelt. Besonders jenseits des Atlantiks und auch im Fernen Osten ist das Interesse an seinem Werk sehr gross.

«Mit mehr als 1500 Besuchern wurden unsere Erwartungen klar übertroffen», bilanziert Museumsleiterin Eva Middendorp. Auch Interessierte aus der Region, Vereine oder Firmen melden sich für geführte Besichtigungen des grosszügigen Parks und des Wohnhauses von Emma und C. G. Jung-Rauschenbach an, in das sie vor genau 110 Jahren eingezogen sind und später mit ihren fünf Kindern bewohnten. Emma verstarb 1955 und C. G. Jung lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1961 – mehr als ein halbes Jahrhundert – im Küsnachter Haus. Das Anwesen blieb in den Händen der Familie und ging von einer Generation an die nächste.

«Quasi in WG mit Museum»

Die Öffnung des Hauses ist nicht zuletzt ein Herzenswunsch von Andreas Jung, dem Enkel von C. G. Jung, der in dritter Generation das Haus bewohnt. Schon als Bub war er oft zu Besuch bei den Grosseltern und zog schliesslich 1975 mit seiner Familie ein. Er und seine Ehefrau haben ihren Wohnanteil verkleinert und wohnen nun «quasi in einer Wohngemeinschaft mit dem Museum», sagt Andreas Jung. Bereut hätten sie es noch keine Sekunde, obwohl nun mehrmals wöchentlich Gruppen neugierig Haus und Garten erkunden und C. G. Jungs Aura auf sich wirken lassen.

«So ein Haus muss leben», sagt der 77-Jährige, der vor seiner Pensionierung als Architekt für die Stadtzürcherische Denkmalpflege tätig war. «Alte Häuser sind wie aufgeschlagene Bücher, sie erzählen eine Geschichte.»

Dieses Haus erzählt die Geschichte von der Familie Jung, von ihm, seinen Eltern und seinen Grosseltern und ihrem Alltagsleben. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Bedeutung von Emma Rauschenbachs Wirken. Sie praktizierte ab 1930 in einem eigenen Praxisraum selbst als Psychoanalytikerin. Ihre Lehranalyse hatte sie bei ihrem Ehemann absolviert. «Emma beschäftigte sich unter anderem mit Animus und Anima und der symbolischen Bedeutung von Motiven der Gralslegende als Archetypen und veröffentlichte dazu zwei Schriften», erklärt Museumsleiterin Eva Middendorp.

Nichts weggeworfen

Im Parterre des Hauses wurden der Salon und das Speisezimmer wie zu Zeiten C. G. Jungs aufgebaut inklusive des Jung’schen Familienspiels Mahjong auf dem grossen Holztisch, an dem die Familie «an Sonntagen zusammen sass, ass und spielte», erinnert sich der Nachkomme. «Es kommt dem Museum zugute, dass das in Mode geratene Entrümpeln in unserer Familie kaum Nachahmer fand», sagt Andreas Jung und schmunzelt.

In der Bibliothek im oberen Stockwerk hängt gar noch immer ein feiner Tabakgeruch des Pfeifenrauchers C. G. Jung. Sein Behandlungszimmer erscheint eng, aber bestückt mit zahlreicher Symbolik und Büchern. Jung selbst nannte den Raum «mein kleines Kabinett». Die Patienten nahmen Platz auf einem gemütlichen Stuhl und blickten dabei in den halbdunklen Raum zu Jung, der auf einem Stuhl an seinem Schreibtisch sass, oder schauten auf die oberen bunten Glasfenster, auf denen christliche Kreuzigungsszenen zu sehen sind. Schon im Alter von 33 Jahren konnte C. G. Jung seine Kliniktätigkeit im «Irrenhaus» Burghölzli aufgeben und sich ganz der Forschung und den Privatpatienten widmen.

In der Bibliothek schrieb und studierte Jung, umgeben von Tausenden Büchern aus den verschiedensten Wissensgebieten. Vom Fenster aus blickte er in den Garten und direkt auf den Zürichsee. Für die Besucher ist das auch heute noch ein eindrucksvoller Blick. (Isabella Seemann)

Das Museum Haus C. G. Jung an der Seestrasse 228 in Küsnacht kann nur auf Anmeldung und im Rahmen einer Führung besucht werden. Informationen: www.cgjunghaus.ch. Telefon (Di und Do): 044 910 08 09.