Zürich erlebte einen Kompromisswinter

Erstellt von Silvan Rosser |
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Der meteorologische Winter dauert bis 28. Februar – danach übernimmt gemäss Definition der Frühling das Zepter. Der Winter wollte in der Region Zürich anfänglich nicht wirklich Einzug halten. Doch Mitte Januar ging es los mit den Beinaherekordschneefällen.

Mitte Januar 2021 brachten Starkschneefälle bis ins Flachland den Verkehr und zahlreiche Bäume zum Erliegen. Ziemlich genau einen Monat später – Mitte Februar – verwandelte arktische Kaltluft Mitteleuropa und Zürich in eine Tiefkühltruhe mit zweistelligen Minusgraden und eisiger Bise. Der Winter verspricht endlich mal wieder, was er hält. Ein Winter wie aus dem Bilderbuch. Wären da nicht diese winterlichen Wärmeperioden.

Der meteorologische Winter dauert vom 1. Dezember bis 28. Februar. Am 1. März übernimmt gemäss dieser Definition der Frühling das Zepter. Der diesjährige Winter startete recht kalt, grau und nass. Die Schneefallgrenze pendelte sich Anfang Dezember langsam bis ins Flachland. In leicht erhöhten Lagen gab es immer mal wieder Schnee.

Doch der Winter wollte noch nicht richtig Einzug halten. Pünktlich zur Vorweihnachtszeit sorgte ein ausgeprägter Warmluftvorstoss für das bekannte Weihnachtstauwetter. In der Altjahrswoche und Anfang Januar kehrten die winterlichen Temperaturen zurück. Häufig war es grau und kalt. Bis zur Winterhalbzeit Mitte Januar kamen Winterfans kaum auf ihre Kosten. Es war eher der klassische Flachlandwinter: für Winterliebhaber zu zahm, und für Frühlingssonnenanbeter zu garstig. Nach einer enttäuschenden ersten Winterhälfte wurden in der zweiten Hälfte dann beide Lager gleicher­massen bedient. In einem Wechselbad der Gefühle mussten einmal die einen leiden, während die anderen frohlockten, und umgekehrt.

Beinaherekordschneefälle

Mitte Januar ging es los mit den Beinahe­rekordschneefällen in Zürich. Innert 48 Stunden fielen 40 Zentimeter Schnee. Am höher gelegenen Stadtrand in Witikon waren es sogar 50 Zentimeter. Letztmals mehr Schnee gab es vom 4. auf den 5. März im Jahr 2006. Damals fiel zwischen Basel, Zürich und St. Gallen rund ein halber Meter Neuschnee. Diese Rekordschneefälle Anfang März 2006 gehören meteorologisch aber eigentlich bereits in den Frühling.

Letztmals mehr Schnee während des offiziellen meteorologischen Winters gab es 1986. Damals lagen in Zürich maximal 43 Zentimeter Schnee. Die diesjährigen Schneefälle Mitte Januar waren also aussergewöhnlich. Doch die Schneepracht sollte nicht lange halten. Bereits vier Tage nach den Beinaherekordschneefällen kletterte die Temperaturen auf vorfrühlingshafte 10 Grad. Die milde und zumindest teilweise sonnigere Phase hielt dann bis Anfang Februar an. Am 5. Februar wurden sogar 12 Grad in Zürich gemessen. Doch lange sollten die ersten Frühlingssonnenstrahlen keine Freude bescheren, denn der Höhepunkt des Winters stand erst bevor.

Zahnlose Kältewelle

In einer ausgeprägten Ostströmung wurde eisige Luft aus Sibirien direkt nach Mitteleuropa und Zürich geführt. Am Morgen des 14. Februar wurden in Zürich –12 Grad gemessen. Es waren die tiefsten Temperaturen seit drei Jahren. Für Kälteliebhaber das Highlight des Winters, obschon die Intensität der Kältewelle keineswegs aussergewöhnlich war. Mit durchschnittlichen Minimaltempera­turen von –9,2 Grad über fünf Tage gehörte sie in Zürich nicht einmal zu den Top-20-Kältewellen seit 1901.

Intensiver war sogar die Kältewelle im Februar 2018. Um Welten intensiver war die Kältewelle im Februar 2012. Damals lag die durchschnittliche Minimaltemperatur über fünf Tage bei –15,8 Grad. Das reichte für Platz drei der intensivsten Kältewellen in Zürich. Noch deutlich kälter war es lediglich in den Wintern 1929 und 1956. Damals lag die durchschnittliche Minimaltemperatur über fünf Tage in Zürich sogar bei knapp–-20 Grad. Doch auch diese Wetterepisode sollte nicht lange währen, und so stiegen bereits vier Tage nach der arktischen Kälte die Temperaturen wieder auf milde 10 Grad und leiteten eine weitere Vorfrühlingsepisode in diesem kuriosen Winter 2020/21 ein, mit Temperaturen bis 15 Grad in der zweiten Februarhälfte. Schwierige Zeiten für Winterfans, doch alle Frühlingsanbeter kamen auf ihre Kosten.

Winterliche Diplomatie

Doch wie schneidet der diesjährige Winter 2020/21 denn nun ab? Haben die schneereichen, kalten oder die frühlingshaft milden Phasen überwogen? War es nun endlich mal wieder ein richtiger Winter? Mit einer Durchschnittstemperatur von 1,9 Grad war der diesjährige Winter im Vergleich zu den Wintern in der Periode 1991 bis 2020 in Zürich am Ende doch zu mild. Er gehört sogar zu den wärmsten 20 Prozent aller Winter in
Zürich seit Messbeginn im Jahr 1864. Doch der reine Mittelwert greift zu kurz, um einen so turbulenten Winter fassbar zu machen. Ein zuverlässiges Mass für die Intensität eines Winters ist die Kältesumme. Alle Wintertage mit einer Tagesmitteltemperatur unter null Grad werden aufsummiert. Milde Tage werden
dabei ausgeblendet.

Der diesjährige Winter schafft es auf eine Kältesumme von –61 Grad. Kein Wert, der bei Winterfans den Puls höher schlagen lässt. Es war zwar der intensivste Winter seit drei Jahren, aber im langjährigen Vergleich ist das eine zahnlose Kältesumme. Selbst die Winter in der milden Periode zwischen 1991 und 2020 brachten es auf durchschnittlich –93 Grad.

Im Winter 2016/17 sackte die Kältesumme auf –124 Grad, 2011/12 sogar auf –162 Grad. Auch bei diesem Indikator gehört der diesjährige Winter zu den mildesten 20 Prozent seit Messbeginn 1864. Das Gleiche gilt für die Anzahl Eistage mit Dauerfrost und die Anzahl Frosttage. In Bezug auf die Kälte war der Winter 2020/21 also kein richtiger Winter, sondern eher ein Mildwinter. Doch ein Indikator beweist trotzdem, dass der Winter eben doch anders war als in den letzten Jahren. Mit 41 Schneetagen in Zürich, an denen mindestens ein Zentimeter Schnee lag, gehört der Winter 2020/21 zu den schneereichen. In zwei Drittel aller Winter seit 1931 gab es in Zürich weniger Schneetage. Letztmals mehr Schneetage gab es in Zürich im Winter 2014/15.

Der diesjährige Winter war also mild, aber schneereich. Ein diplomatischer Kompromisswinter eben.