Zwischen Paragrafen und Ohnmachtsgefühlen

Erstellt von Lisa Maire |
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Der Kreis 5 ächzt unter seiner hohen Dichte. An einer Podiumsveranstaltung verteidigte Katrin Gügler, Direktorin Amt für Städtebau (AfS), die städtischen Verdichtungsstrategien gegen Kritik aus dem Quartier.

«Bauliche Verdichtung im Kreis 5 – was kommt auf uns zu und wie können wir damit umgehen?», fragten der Quartierverein Zürich 5 und die IG Hardturmquartier auf ihrer Einladung zur Podiumsveranstaltung. Auf der Bühne im vollen, aber locker bestuhlten Quartierzentrum Schütze sassen neben der AfS-Direktorin Katrin Gügler zwei kritische Quartiervertretende: Architektin Monika Spring, Gründungsmitglied und Ex-Präsidentin IGH, Alt-SP-Kantonsrätin, und Architekt Marco Müller, Vorstandsmitglied QV5. Geleitet wurde die Diskussionsrunde von der Kultur- und Architekturjournalistin Karin Salm. Doch bevor die Podiumsrunde startete, gab Gügler einen Überblick über die städtischen Verdichtungsstrategien. «Ein sehr schwieriges Thema – quasi die Quadratur des Kreises», schickte sie voraus.

«Geeignet für hohe Verdichtung»

Zur besonderen Herausforderung wird Verdichtung in Stadtgebieten wie Zürich-West, die im gesamtstädtischen Vergleich bereits überdurchschnittlich gewachsen sind. Denn sie sollen auch in den nächsten 20 Jahren am stärksten wachsen – das Gebiet im Umkreis von Escher-Wyss-Platz und Hardturm um fast 40 Prozent (gegenüber +25 Prozent im gesamtstädtischen Schnitt). Guideline ist dabei der kommunale Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen, der für dieses Gebiet ein sehr hohes bauliches Verdichtungspotenzial mit Ausnützungsziffern bis zu 250 Prozent definiert. In Zürich-West mit seiner guten Erschliessung, den grossen Arealen und vielfältigen Nutzungen sei dieses Potenzial vorhanden, sagte Gügler.

Damit bauliche Verdichtung sozialverträglich bleibe, brauche es neben städtebaulichen und architektonischen Qualitäten vor allem auch neue Infrastrukturen und genügend Freiräume. Bei Letzterem sei die Stadt auf die Kooperation mit Privaten angewiesen. Im dichten Kreis 5, von seiner topologischen Lage her im Sommer eine Hitzeinsel, seien zudem hitzemindernde Massnahmen erforderlich. Gügler wies auf Baumpflanzungen und Tests mit verschiedenfarbigen Strassenbelägen hin.
Siedlungsplan versus Verkehrsplan

Ausgerechnet in einem Quartier, wo es schon so dicht und heiss ist, soll es noch dichter werden: «Wie ist es da um das Vertrauen bestellt, dass am Schluss alles gut kommt?», stellte Karin Salm die Auftaktfrage zur Podiumsdiskussion. Monika Spring scheint nicht sehr zuversichtlich. Die quartierbelastende Verkehrssituation an der Hardturmstrasse, seit vielen Jahren im Visier der IGH, sei heute zwar besser, aber immer noch ungenügend, kritisierte sie. Es habe tolle Projekte für eine Aufwertung der Strasse mit Baumalleen und Verkehrsreduzierung gegeben, sie seien jedoch nie umgesetzt worden. Im öffentlichen Raum gebe es ja noch den Verkehrsplan, erinnerte Gügler. Das Dilemma bei der Umsetzung solcher Projekte sei ein Urthema, «wir schauen da aber genau hin».

Marco Müller vom Quartierverein legte den Finger auf die Bereitschaft der Stadt, in gewissen Fällen bei der Verdichtung über die Bau- und Zonenordnung (BZO) hinauszugehen. Wenn Ausnützungsziffern von 250 bis 450 Prozent diskutiert würden, diene das doch nur dem Profit der Investoren. «Wir sind doch nicht im Wilden Westen», konterte Gügler. Mit Gestaltungsplänen habe man ein Instrument, qualitätsvolles Wachstum sicherzustellen. Für quartierverträgliche Lösungen seien aber auch demokratische Prozesse relevant – die politische Diskussion, öffentliche Auflagen, Abstimmungen. «Wir diskutieren nicht hinter geschlossenen Türen!», stellte die AfS-Chefin klar.

Geteilte Meinung zu Hochhäusern

Mit Blick auf das Projekt Heinrich-Areal – ein Studienauftrag für eine Wohnüberbauung mit Blockrand und 70-Meter-Turm – kam auch das Argument, mit Hochhäusern liessen sich nur teure Wohnungen bauen, aufs Tapet. Hochhäuser erlaubten es, Baumasse anders anzuordnen, «wir brauchen diese Klaviatur», sagte Gügler dazu. Ausserdem: Sowohl der Stadt als auch Genossenschaften wie zurzeit der ABZ gelinge es, Hochhäuser mit preisgünstigen Wohnungen zu bauen. Der wohnpolitische Auftrag, bis 2050 den Anteil gemeinnütziger Wohnungen auf einen Drittel der Mietwohnungen zu pushen, sei zwar eine grosse Herausforderung, die Stadt tue aber sehr viel dafür, das Ziel zu erreichen.

Investorengewinne unter Beschuss

Aus dem Publikum kamen weitere kritische Stimmen. Der Widerstand gegen das Wachstum erkläre sich aus den bisherigen Projekten, sagte ein Quartierbewohner. Die verbliebenen Freiräume würden zunehmend be- und überlastet. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm zudem Bauten, die als Anlagevehikel für ausländische Investoren dienen. Unter der Bevölkerung in den Zentrumszonen sei deshalb auch viel Ohnmacht und Frustration zu spüren, pflichtete Spring bei, während Gügler auf die Praxis der Mehrwertabgabe aufmerksam machte – und darauf, dass es auch viele «gute Bauherren mit einem Bezug zum Quartier» gebe.
Andere Kritiker bezeichnete das Entwicklungsgebiet Zürich-West kurzerhand als «hässliches Stoppelfeld» oder stellten eine funktionierende Zusammenarbeit mit Privaten bei der Bereitstellung des erforderlichen Freiraums in Frage. Die Stadt könne einfach den Freiraumbedarf nicht alleine stemmen, insistierte Gügler. «Wir können aber geschickt verhandeln, damit wirklich tragbare Lösungen entstehen.» Das brauche allerdings viel Zeit und gelinge nicht immer gleich gut.

«Zu lange Planungsprozesse»

Diese Zeit wollen jedoch nicht alle im Kreis 5 aufbringen. «Seit 20 Jahren kämpfen wir nun für mehr Freiräume», sagte eine Bewohnerin der Kraftwerk-Siedlung Hardturmstrasse. Es sei eine Katastrophe: «Die Stadt lässt uns einfach hocken!» Die Planungsprozesse zögen sich viel zu lange hin, doppelte eine andere Quartierbewohnerin nach. Die Auswirkungen der Klimakrise verlangten doch ein schnelleres Handeln. Jetzt höre sie «von einem neuen Bäumchen und einem Belagstest – krass!» Gügler liess sich nicht aus der Ruhe bringen: Wenn einer alleine entscheide, gehe es schneller, sei aber nicht demokratisch. «Meinungsprozesse brauchen einfach Zeit», so ihr Schlussvotum.